Les Siecles: Les Nuits De Paris © Bru Zane
Bru Zane
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Album der Woche | 13.03. - 19.03.2023 - Les Siècles: "Les Nuits de Paris"

Les Nuits de Paris, ist ein - wenn man so will - Neujahrskonzert aus Paris: Quadrillen, Polkas und Walzer von der Seine. Es ist unser Album der Woche mit dem Orchester Les Siècles unter François-Xavier Roth. Claus Fischer stellt es vor.

Das Album dieser Woche ist ein Experiment. Stellen Sie sich mal vor, das traditionelle Neujahrskonzert wäre nicht in Wien, sondern in Paris erfunden worden. Wie würde das klingen? Herausgefunden hat man das in der wichtigsten Forschungsstätte für die französische Musik des 19. Jahrhunderts. Die ist nicht, wie man denken könnte, in Paris beheimatet, sondern in Venedig, im "Palazzetto Bru Zane“.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dort geben nicht nur Noten, sondern regelmäßig auch CDs heraus, sie arbeiten dafür mit renommierten französischen Interpreten und Orchestern zusammen. Das "Neujahrskonzert à la française“ hat das Orchester Les Siècles unter Leitung des Pariser Dirigenten François-Xavier Roth aufgenommen. Titel des Albums: "Les Nuits de Paris“, zu Deutsch "Die Nächte von Paris“.

François-Xavier Roth; © Marco Borggreve
François-Xavier Roth | Bild: Marco Borggreve

Überall Tanz - von den "Folies Bergère“ bis zur Oper

Nichts im Paris des 19. Jahrhunderts war so allgegenwärtig wie der Tanz. So beschreibt der Musikwissenschaftler Étienne Jardin vom Palazzetto Bru Zane dessen Bedeutung:

"Es konnte eine Kunstform sein, ausgeführt von Berufstänzerinnen und -tänzern. Das Publikum hatte das erotische Vergnügen, sie auf der Bühne zu sehen. In der Oper, aber auch auf populären Bühnen wie den 'Folies Bergère' oder dem 'Eldorado'. Auf der anderen Seite gehörte der Tanz aber auch zu den sozialen Pflichten des gehobenen Bürgertums. Ballhäuser waren Orte, an denen sich die Gesellschaft traf, das war wichtig!“

Die Tänze: Quadrille, Polka, Walzer

Was im 19. Jahrhundert in Paris getanzt wurde, sagt Étienne Jardin, hing von der Mode der jeweiligen Zeit ab.

"Quadrille war zunächst modern, dann Polka, dann der Walzer, der auch in Paris eine große Sache war. Es musste alles ganz am Puls der Zeit sein!“

Der Pariser Walzerkönig: Émile Waldteufel

Nur wenige Walzer aus dem Paris des 19. Jahrhunderts sind auch außerhalb Frankreichs so bekannt geworden, wie "Les Patineurs", "Die Schlittschuhläufer“ von Émile Waldteufel. Dieser aus dem Elsass stammende Komponist war zweifellos der französische Walzerkönig schlechthin.

Der "Lanner von Paris“ – Florimond Ronger, genannt "Hervé“

Aber auch der wesentlich unbekanntere Florimond Ronger, vom Pariser Publikum "Hervé“ genannt, galt als Meister des Dreivierteltakts, Er war einer der ersten Operettenkomponisten, in der Zeit als auch Jacques Offenbach seine ersten Operetten schrieb. Am Ende seiner Karriere ist er nach London gegangen und hat etliche Ballette für das Publikum dort geschrieben, z.B. den "Seekrankheits-Walzer“ (Valse du mal de mer). Er ist Teil seines Balletts mit dem Titel "Sport in England“.

"Beim Hören“, erzählt Étienne Jardin, "sieht man vor dem geistigen Auge die Passagiere an der Reling, denen es schlechter und schlechter wird! Das ist ziemlich amüsant.“

Lohnenswerte Entdeckungen - zum Beispiel Ernest Giraud

Die Forschungsarbeit des venezianischen Instituts Palazzetto Bru Zane hat viele unbekannte Manuskripte erschlossen. Eine Arbeit, die große Freude an der Kultur des 19. Jahrhunderts mit sich bringt und immer neue Komponisten zu Tage fördert. "Es ist uns ein wichtiges Anliegen, dass diese Komponisten wiederentdeckt werden", sagt Étienne Jardin.

Ernest Guiraud war Professor für Komposition am Pariser Konservatorium. Er war bekannt, weil er Offenbachs Operette "Hoffmanns Erzählungen“ vervollständigt hat. Aber er hat auch die Rezitative für Bizets Oper "Carmen" komponiert. Aber er hat auch eigene Werke geschrieben, z.B. ein Ballett mit dem Titel "Gretna-Green" - eine Hommage an jenen Ort in Schottland, an dem Minderjährige ohne Einwilligung der Eltern heiraten konnten ...

Auch "ernste“ Komponisten vertreten – Die Oper ist schuld

Interessanterweise finden sich auf dem Album nicht nur unbekannte Komponisten der leichten Muse, sondern auch prominente Namen, die im 19. Jahrhundert im Konzertsaal und vor allem in der Oper zuhause waren, wie z.B. Léo Delibes, Ambroise Thomas oder Camille Saint-Saëns. Der Grund dafür, so Étienne Jardin, ist logisch:

"Wenn man damals für die Pariser Oper ein Musikdrama komponiert hat, dann waren Tanzeinlagen vorgeschrieben! Das war Pflicht, damit das hauseigene Ballett während der Aufführung auch beschäftigt war.“

Franzöisches Parfum und originaler Klang

Was die Quadrillen, Polkas und Walzer von der Seine von denen der schönen blauen Donau unterscheidet ist das ihnen eigene spezifisch-französische "Parfum". Zum Glück wirkt das aber nie aufdringlich - dank des Orchester Les Siècles mit seinem Dirigenten François-Xavier Roth.

"Das“, so Étienne Jardin, "ermöglicht, den originalen Klang dieser Musik zu hören! Und der ist nicht so dick, nicht so üppig, wie bei modernen Orchestern. Unsere Idee war es, zu zeigen, wie schön und anmutig diese Musik ist! Aber auch, um Leute zu sensibilisieren, die Programme für z.B. Neujahrskonzerte machen, damit sie nicht immer nur Musik der Strauß-Familie auswählen. Es gibt so viel andere gute Musik dieser Art - und da gehören die französischen Komponisten dazu!“

Claus Fischer, rbbKultur