
Album der Woche | 11.04. - 16.04.2023 - Maria Ioudenitch: Songbird
Die Geigerin Maria Ioudenitch, 1995 im russischen Balaschow geboren und in den USA aufgewachsen, ist Gewinnerin zahlreicher internationaler Musikwettbewerbe - darunter der Tibor Varga Violinwettbewerb. Seit Oktober 2022 studiert sie bei Christian Tetzlaff an der Kronberg Academy. Auf ihrem Debüt-Album "Songbird" versammelt die Musikerin Werke u.a. von Clara und Robert Schumann, Nadia Boulanger und Fanny Hensel. Begleitet wird sie dabei vom Pianisten Kenny Broberg. Moritz Reininghaus hat Maria Ioudenitch zum Gespräch getroffen und stellt unser "Album der Woche" vor.
rbbKultur: Frau Ioudenitch, Sie haben Ihr Album "Songbird" hier in Berlin aufgenommen. Wie hat Ihnen die Stadt gefallen?
Maria Ioudenitch: Ich liebe sie – und ich sage es allen weiter. Ich möchte dorthin ziehen, irgendwann in den nächsten Jahren. Ich würde dort sehr gern leben.
rbbKultur: "Songbird" ist Ihr erstes Soloalbum – und Ihr erstes Studioalbum. Wie war es, einmal nicht vor Publikum zu spielen?
Ioudenitch: Ich hatte erwartet, dass wir sehr gehemmt sein würden, weil alles perfekt sein muss. Die Technik, die Intonation, wie man es eben von einer Studioaufnahme erwartet. Aber dann stand doch das Musizieren im Vordergrund. Es war also ein wunderbarer künstlerischer Prozess.
rbbKultur: Sie haben das Album "Songbird" genannt. Haben Sie eine besondere Beziehung zu Singvögeln?
Ioudenitch: Nicht unbedingt. Es war einfach ein schöner Titel, um all die Stücke zusammenzufassen, von denen die meisten ja Lieder sind. Und wir haben immerhin ein Stück, "Die Lerche" von Michail Glinka, die ja ein Singvogel ist.
rbbKultur: Aber der Begriff "Songbird" beinhaltet auch das Wort "Lied" – was bedeuten Lieder für Sie?
Ioudenitch: Ich bin mit Gesang aufgewachsen. Denn meine Familie hat eigentlich ständig Aufnahmen von großartigen Sängerinnen und Sängern wie Jessye Norman, Elisabeth Schwarzkopf oder Pavarotti gehört, all diese wunderbaren Sänger! Und die hatte ich im Ohr und wurde von ihnen dazu inspiriert, auf der Geige einen Klang zu erzeugen, der dem ähnelt, wie eine Sängerin oder ein Sänger singt. Das Album besteht aus vielen verschiedenen Lieder. Zum Teil spiele ich nur die Gesangsstimme und habe sonst eigentlich nichts verändert. Den Rachmaninow zum Beispiel habe ich selbst arrangiert, bei manchen Stücken haben das andere gemacht. Manche Stücke haben erst einmal gar nicht mit Liedern zu tun, sind aber unglaublich liedhaft und melodisch.

rbbKultur: Singen Sie mit Ihrer Geige?
Ioudenitch: Ja! Ich singe nicht mit meiner Stimme, sondern mit meiner Geige. Sie ist meine Stimme.
rbbKultur: Brauchen Lieder also eigentlich gar keine Texte?
Ioudenitch: Im traditionellen Sinne schon! Ich versuche deshalb, dass der Ton, den ich mit der Geige hervorbringe, die Worte darstellt. Sie liegen also darunter, auch wenn sie nicht zu hören sind.
rbbKultur: Welche Unterschiede gibt es zwischen den verschiedenen Komponisten im Umgang mit der menschlichen Stimme? Wie haben Sie das mit Ihrer Geige nachgeahmt?
Ioudenitch: Wenn Sie "Romanze" von Rachmaninow nehmen, dann ist ein schmerzhaftes, ein weinendes Lied. Also müsste der Sänger, der es singt, diese Qualitäten in der Stimme haben. Das versuche ich auf der Geige nachzuempfinden. Wenn man das zum Beispiel mit Nadia Boulanger vergleicht, dann ist das eine ganz andere Art von Stimme, nämlich leise und gedämpft. Diesen Kontrast finde ich unglaublich schön, weil es damit eine große Vielseitigkeit gibt.
rbbKultur: Das Album vereint Komponistinnen und Komponisten aus Amerika, Europa und Osteuropa. Sind Sie bei der Auswahl auch geografisch vorgegangen?
Ioudenitch: Mein Hauptanliegen bei dem Album war, dass es Kontraste zwischen den Stücken gibt: Kontraste in den Klangwelten, in den Farben. Natürlich ist es ziemlich schwierig, große Kontraste mit Stücken zu erzeugen, die aus der gleichen Zeit stammen, aber es gibt subtile Kontraste. Und ich habe die Stücke in der Tat auch geografisch zusammengestellt. Irgendwie hat es funktioniert, ich musste sie nur ein bisschen umstellen. Ich hoffe, dass die Leute, die es hören, auf eine Reise durch die Stücke gehen, vom ersten, von Clara Schumann bis zum Ende, Strauss. Denn es ist eine Reise – durch die Stimme, durch die Geige und natürlich durch das Klavier.
rbbKultur: Auch Richard Strauss' Lied "Morgen!" "singen" Sie mit Ihrer Geige – allerdings zusammen mit der Sopranistin Theresa Pilsl. Wie war diese Erfahrung?
Ioudenitch: Ehrlich gesagt, war es das schönste Erlebnis bei den Aufnahmen. Denn endlich konnte ich zusammen mit einer Sängerin musizieren, in den Klang ihrer Stimme hineinspielen. Da kam alles zusammen, was ich mit dem ganzen Album versucht habe.
rbbKultur: Für viele ist Franz Schubert der Inbegriff eines Liedkomponisten. Warum spielen Sie auf dem Album keine Lieder von ihm, sondern seine "Fantasie in C-Dur"?
Ioudenitch: Ich habe tatsächlich darüber nachgedacht, auch Lieder von Schubert einzuspielen. Das Gute an der "Fantasie" ist, dass sie ein Lied von ihm enthält: Er hat sein Lied "Sei mir gegrüßt" eingebaut. Ich hatte also die Möglichkeit, dieses Stück für Violine und Klavier zu spielen – und gleichzeitig ein Lied von Schubert.
rbbKultur: Auch Clara Schumann, Fanny Hensel, Nadia Boulanger und Amy Beach sind auf dem Album zu hören – welchen Stellenwert hatten diese Frauen zu ihren Lebzeiten in der Musik?
Ioudenitch: Sie befanden sich in einer miserablen Lage: Manche von ihnen durften, wie Fanny Mendelssohn, nichts in ihrem Namen veröffentlichen. Das war eine ziemliche Tragödie, weil sie so schöne Stücke geschrieben haben. Deshalb ich ein paar davon für das Album eingespielt.
rbbKultur: Und heute?
Ioudenitch: Heute ist es viel besser, aber es gibt noch viel zu tun!
Das Gespräch führte Moritz Reininghaus, rbbKultur