Album der Woche | 23.05. - 29.05.2022 - Martin Helmchen: "Schumann"
Zwei selten zu hörende Klavierzyklen von Robert Schumann und drei Stücke von Clara Schumann hat der Pianist Martin Helmchen für sein neues Album gewählt. Eine Besonderheit ist der historische Bechsteinflügel, auf dem er diese Musik spielt.
"Schumann ist einer dieser Komponisten, die mich ein Leben lang beschäftigen und die immer mitgehen und mitlaufen mit allem", erzählt Martin Helmchen. "Schumann ist immer da und ab und zu ist die Zeit, dass auch mal eine CD sein muss - und da war der Impuls vor allem, dass ich dieses unglaubliche Instrument gefunden habe."

Wie vom Blitz getroffen
In der wunderbaren Klavier- und Cembalo-Manufaktur von Chris Maene in Belgien entdeckte Martin Helmchen beinahe zufällig ein historisches Instrument, in das er sich verliebte. Auf diesem Bechsteinflügel aus dem Jahr 1860 schlug er ein paar Takte Schumann an – und war sofort "… wie vom Blitz getroffen, weil auf einmal ganz viel von alleine funktioniert hat, was sonst ein großer Kampf auf dem modernen Steinway ist: um Transparenz, um den richtigen Klang. Ohne das Instrument vorher je gesehen zu haben, fiel mir alles in die Hand."
Den Plan, die Novelletten von Schumann aufzunehmen, hegte er schon eine Weile. Nun gab das Instrument den entscheidenden Impuls, damit anzufangen. Es klingt besonders farbenreich und charakteristisch.
Mehr Attacke
"Dieses Marschartige, was ja auch typisch Schumann ist, der Anfang der 1. Novellette, das hatte halt viel mehr Punch, also mehr Attacke, als ich es auf dem modernen Flügel kannte, der sehr viel runder ist und wo sich die Register vermischen", erklärt Helmchen. "Und hier auf diesem alten Instrument hört man viel transparenter durch, vor allem im Bass und in der Mitte. Und hat gleichzeitig sehr viel mechanisches Geräusch, was unglaublich viel Charakter dazugibt."
Auch die schwindelerregend virtuose 2. Novellette profitiert auf spezifische Weise von den Besonderheiten des historischen Flügels. Man hört auf ihm auch im raschen Tempo noch jede einzelne Note heraus. Aufgekratzt, rauh und ungestüm klingen die florestanischen Passagen dieses Schumanns bei Martin Helmchen.
Die Melodien schweben
Aber auch in den gesanglichen Passagen kommt Helmchens Interpretation die alte Bauart des Bechsteinflügels entgegen, auf dem jedes Register noch seine charakteristische Färbung besitzt im Unterschied zur homogeneren Farbe des Steinways. Die Melodien im hohen Register scheinen dadurch auf natürliche Weise über den begleitenden Figurationen im Mittel- und Bassregister Begleitung zu schweben: "Man hat da das melodische Register, was unglaublich schön trägt, die Begleitung ist drunter und klingt von sich aus ganz anders und das waren alles wirklich wahnsinnig faszinierende Momente für mich."
Wandern durch Ballsäle
Die Folge der einzelnen Stücke der Novelletten wirkt eher rhapsodisch, als dass sie einem zwingenden Aufbau folgt. Helmchen stellt sich hier "... ein riesiges Haus oder ein riesiges Schloss vor, wo man durch verschiedene Zimmer, mit psychologischen Situationen, mit Begegnungen, durch Ballsäle wandert und eigentlich auch einen anderen Weg nehmen könnte."
Helmchen kombiniert Schumanns Novelletten mit seinem späten Zyklus "Gesänge der Frühe" und mit drei Piècen von Clara Schumann aus ihrem Zyklus "Soirées Musicales". Sie sind musikalisch eng verzahnt mit den Werken ihres Ehemanns. Ein Thema, das in Claras Toccatina und in ihrer Nocturne erklingt, greift Robert Schumann in seiner 8. Novellette auf. Und in seinen "Gesängen der Frühe" schließlich gestaltet Schumann das 4. Stück zu einer Hommage an seine geliebte Clara.
Schumanns Spätwerk
Der Zyklus entstand 1853 wenige Monate vor Schumanns Selbstmordversuch und trägt Züge eines tief melancholischen Abgesangs. Clara Schumann nannte die Stücke einmal "originell", aber "schwer aufzufassen".
Für Martin Helmchen ist Schumanns Spätwerk ein Faszinosum: "Der ganz späte Schumann, der hat eine Weile gebraucht bei mir, bis ich ihn tief emotional verstanden hatte. Aber jetzt entwickelt er für mich so eine Sogwirkung. Gerade in den 'Gesängen der Frühe' berührt mich so unglaublich diese Gleichzeitigkeit von Abschied und beginnender Weltabgewandtheit - und dann aber auch diese Frühe, dieses Aufbruchsgefühl, was auch im Titel ist."
Julia Spinola, rbbKultur