Midori Seiler: Bach's Virtuosos © Berlin Classics
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Album der Woche | 24.04. - 30.04.2023 - Midori Seiler: Bach's Virtuosos

Nur sechs Jahre lang war Johann Sebastian Bach als Fürstlich-Anhaltinischer Hofkapellmeister in Köthen tätig. In dieser Zeit, die er in einem Brief einmal als die glücklichste seines Lebens bezeichnet hat, entstanden so berühmte Kompositionen wie die Brandenburgischen Konzerte und die Orchestersuiten. Alle zwei Jahre finden deshalb in der 30.000-Einwohner-Stadt die Köthener Bachfesttage statt. Und seit 2016 hat dieses Festival auch ein eigenes Barockorchester, das Köthener BachCollektiv. Geleitet wird es von der renommierten Geigerin Midori Seiler. Nun hat es sein erstes Album herausgebracht: "Bach´s Virtuosos" - also "Bachs Virtuosen".

"Bei unserem CD-Projekt 'Bach in Köthen' haben wir uns mit Musik beschäftigt, die Bach in Köthen komponiert und höchstwahrscheinlich auch zur Aufführung gebracht hat", erzählt die Geigerin Midori Seiler, die Leiterin des BachCollektivs. "Aber nicht nur Bachs Musik war uns ein Anliegen, sondern auch die Musik von den Menschen, die mit ihm zusammengearbeitet haben."

Die Köthener Hofkapelle zur Zeit Bachs: eine "Starformation"

Eine Starformation, so würde man die Köthener Hofkapelle wahrscheinlich heute nennen. Der junge Johann Sebastian Bach, erzählt Midori Seiler, hat schlicht davon profitiert, dass Friedrich Wilhelm I. von Preußen knapp bei Kasse war:

"Der Soldatenkönig brauchte Geld für seine Kriege und hat seine Musiker entlassen. Aus dieser Hofkapelle sind 1713 sehr viele Musiker nach Köthen ausgewandert und haben ein unfassbar tolles Orchester gebildet!"

Bachs Virtuosen: Stricker, Linike, Spiess

Bachs Virtuosen, sprich die Stars in seiner Köthener Hofkapelle, sind heute zu Unrecht vergessen. Etwa der Geiger Georg Linike, der später in Hamburg auch unter Georg Philipp Telemann musizierte. Auf dem Album vertreten ist er mit einer französisch angehauchten Orchestersuite.

Bachs Konzertmeister war der Geiger und Komponist Joseph Spiess. Auch von ihm findet sich ein bislang unbekanntes Werk auf dem neuen Album – und das ist eine äußerst spannende Ausgrabung, meint Midori Seiler: "Wir hatten das große Glück und sind durch Dr. Michael Maul aus dem Leipziger Bach-Archiv auf ein Violinkonzert gestoßen, das als Handschrift erhalten geblieben ist. Und dieses Violinkonzert haben wir für uns erarbeitet.“

Das Violinkonzert von Joseph Spiess ist hochvirtuos und es zeigt deutlich, wen Johann Sebastian Bach bei der Komposition seiner Violinkonzerte als Solisten im Sinn hatte.

Als Bach nach Leipzig ging, wurde Joseph Spiess übrigens auch sein Nachfolger in Köthen.

Auch Bachs Amtsvorgänger in Köthen August Reinhard Stricker ist mit einem Werk auf dem Album vertreten: einer Sonate für zwei Violinen und Generalbass.

Midori Seiler © Maike Helbig
© Maike HelbigBild: Maike Helbig

"Besonderes Feeling"

Das Köthener BachCollektiv ist, so kann man ohne Übertreibung sagen, die perfekte Re-inkarnation von Bachs Hofkapelle. Alle zwei Jahre im September, während der Köthener Bachfesttage, verstehen sich die jungen Musikerinnen und Musiker darauf, wie Geigerin Midori Seiler es nennt, ein "besondere Feeling" zu erzeugen:

"Das ist nicht nur ein schnelles Anreisen: Auspacken der Instrumente, Proben, Konzert spielen, Hände schütteln und wieder Abreisen - sondern man verbindet sich auf eine ganz eigene Art mit dem Ort, mit Köthen, mit der Musik, die hier entstanden ist. Und das macht diese Zeit für uns sehr besonders!“

Spannendes Experiment: Die Rekonstruktion eines verschollenen Violinkonzerts von Bach

Das Violinkonzert in g-Moll wurde sozusagen im Cembalokonzert f-Moll WV 1056 entdeckt, erzählt Midori Seiler: "Bach hat vermutlich in Köthen Violinkonzerte geschrieben, deren Autographen verschwunden sind. Die Idee zu dem Cembalokonzert f-Moll, das ursprünglich ein Violinkonzert gewesen sein könnte, stammt von Dr. Peter Wollny aus dem Bach-Archiv Leipzig. Er meinte, es ist sehr gut möglich, dass das mal ein Violinkonzert in g-Moll war.“

So hat sich Midori Seiler intensiv mit der Partitur beschäftigt und das verschollene Violinkonzert rekonstruiert.

"Natürlich ist es auch eine gewisse Anmaßung, dass man versucht, eine Bach´sche Komposition wiederherzustellen - aber es sehr viel Spaß gemacht und mir einen Einblick auch in die Kompositionswerkstatt von Bach gegeben. Herausgekommen ist ein unglaublich komplexes Werk, in dem die Geigentöne ineinander schillern und sich gegenseitig umspielen, ablösen, übertrumpfen, dialogisieren - und das zu erfassen, hat uns sehr viel Spaß gemacht!"

Ein großer Wurf

Bachs Köthener Hofkapelle – noch nie hat man sie so intensiv in ihren Facetten kennenlernen können. Dem BachCollectiv ist mit diesem Album ein ganz großer Wurf gelungen!

Claus Fischer, rbbKultur