Raphaël Feuillâtre: Visages Baroques © Deutsche Grammophon
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Album der Woche | 03.04. - 09.04.2023 - Raphaël Feuillâtre: Visages Baroques

Einen Exklusivvertrag mit einer großen Plattenfirma – für Gitarristen gibt es den nur selten. Der junge französische Gitarrist Raphaël Feuillâtre gehört zu den wenigen. Er muss, mit Ende 20, also ein besonderer Gitarrist sein. Auch sein Debüt beim Label Deutsche Grammophon ist ungewöhnlich: Ein Gitarrenalbum, mit dem er zeigen will, dass die Gitarre das bessere Cembalo ist.

Das Präludium, mit dem Johann Sebastian Bach sein Wohltemperiertes Klavier eröffnet, ist hier das Vorspiel zu einem ungewöhnlichen Barockalbum. Der Gitarrist Raphaël Feuillâtre interpretiert Cembalostücke so, wie man es auf dem Cembalo nicht kann.

Cembalo-Werke als Gitarren-Arrangements

"L’Aimable" zum Beispiel, ein Rondo von Joseph-Nicolas-Pancrace Royer. Dieser - heute kaum noch bekannte - Komponist, Cembalist und Sänger aus dem 18. Jahrhundert war Musiklehrer am französischen Königshof. Er unterrichtete dort die Kinder von Louis Quinze.

Warmer und plastischer Klang

Das ursprünglich für Cembalo geschriebene Stück hat Raphaël Feuillâtre selbst bearbeitet. Arrangements seien für ihn ein Weg, die klanglichen Möglichkeiten der Gitarre zu erkunden - und hörbar zu machen. Denn es handele sich um ein sehr intimes Instrument, so Feuillâtre:

"Die Gitarre hat sehr viele sehr unterschiedliche Klangfarben. Sie verleiht den Werken eine Farbigkeit und Wärme, die das Cembalo nicht bieten kann, weil dessen Klang weniger wandelbar ist."

Je nachdem, wo und wie die Gitarrensaiten angeschlagen werden, kann der Ton eher hart und metallisch oder ganz weich und singend sein.

Auf der Gitarre zum Beispiel plastischer als auf dem Cembalo klingt das "Gespräch der Musen", "L’Entretien des Muses", von Jean-Philippe Rameau. Vom selben Komponisten auch auf dem Album: die humorvolle Komposition über Zyklopen - "Les Cyclopes".

Vielfältige Facetten

Mit den Werke auf dem Album will Raphaël Feuillâtre ganz unterschiedliche Facetten des Barock zum Ausdruck bringen: "Visages barqoues" - barocke Gesichter eben.

"Es gibt die verschiedenen Gesichter – und ganz verschiedene Arten von barocker Musik", sagt Raphaël Feuillâtre. Er beruft sich auf das italienische Concerto, den "deutschen" Barock in Bachs Partita sowie die französische Barockmusik.

Einerseits sind es alles Bearbeitungen von barocken Cembalowerken, andererseits bringt er damit eine persönliche Erfahrung zum Ausdruck.

Die Gitarre hat sehr viele sehr unterschiedliche Klangfarben. Sie verleiht den Werken eine Farbigkeit und Wärme, die das Cembalo nicht bieten kann, weil dessen Klang weniger wandelbar ist.

Im Zentrum des Albums: eine Klavierpartita von Bach

Für Raphaël Feuillâtre das Kernstück des Albums ist Bachs erste Klavierpartita. Sie faszinierte ihn bereits in seiner Kindheit. Die hat Feuillâtre in einer Kleinstadt in Westfrankreich verbracht. Geboren wurde er 1996 in Dschibuti, am Horn von Afrika.

Es war diese Partita, die sein Interesse an Bach weckte - und überhaupt an Musik des Barock. Seit langem hatte er Lust, die Partita zu spielen:

"Sie kommt sehr schlicht daher, wirkt leicht auf dem Klavier. Auf der Gitarre hingegen scheint sie gewichtiger und ist auch schwerer zu spielen. Trotzdem muss ich als Interpret den Eindruck erwecken, sie sei ganz einfach.“

Diese Herausforderung gelte es, sowohl in der Aufnahme als auch im Live-Konzert zu meistern.

Ein junges Talent mit Zukunft

Raphaël Feuillâtres Album lädt ein, barocke Cembalomusik - zum Beispiel von Bach - einmal ganz anders, nämlich in den Klangfarben der Gitarre zu erleben. Unter den insgesamt zehn Werken sind auch einige selten gespielte, die es zu entdecken lohnt.

Das Album zeigt, welche Klangräume, welche Möglichkeiten in der Gitarre stecken. Und: man lernt in den Aufnahmen einen jungen talentierten Gitarristen kennen – der hier vom Barock erzählt, der aber in Zukunft ganz sicher auch noch mit Werken ganz anderer Epochen von sich hören macht.

Antje Bonhage, rbbKultur