
Album der Woche | 26.09. - 02.10.2022 - Yi Lin Jiang: "Fête du Soleil. À votre santé"
Passend zum Herbstbeginn hat der Pianist Yi Lin Jiang sein Solo-Album "Fête du Soleil" - also "Sonnenparty" - herausgebracht. Darauf spielt er Klavierwerke, die er mit seinen Lieblingsorten in Südeuropa assoziiert. Entstanden ist ein musikalischer 24-Stunden-Trip, der einen facettenreichen Klangeindruck hinterlässt.
Ein Album, mit dem man in die Sonne flüchten kann: das war die Grundidee, mit der Yi Lin Jiang an "Fête du Soleil" herangegangen ist. Dafür hat er aber keine leichten Sommerhits ausgesucht, sondern anspruchsvolle Klavierstücke von Isaac Albéniz, Maurice Ravel, Ottorino Respighi und Robert Schumann: "Ich habe mir überlegt, dass ich mir eine Geschichte vorstelle. Und dann habe ich einfach aus meinen vergangenen Reisen die Orte ausgesucht, an denen ich jetzt am liebsten wäre. Die wollte ich mit der Musik beschreiben.“

Ein Trip in den Süden
Andalusien, Paris, Rom und Valletta: Das sind die vier Sonnen-Orte, an die Yi Lin Jiang auf seinem Album reist. Genau 24 Stunden dauert sein Südeuropa-Trip, wobei die Musikstücke nicht nur zu dem jeweiligen Ort passen sollten, sondern auch zu einer bestimmten Tageszeit:
"Jede Tageszeit hat eine andere Atmosphäre. Auch das Sonnenlicht sieht anders aus. Und ich habe mir bei jedem Stück, das ich aufgenommen habe, versucht, mir genau vorzustellen: zu welcher Tageszeit würde mir diese Musik jetzt am besten gefallen? Und so habe ich das dann ein bisschen sortiert.“
Morgenstimmung in Andalusien
Los geht es in Spanien mit Isaac Albéniz. Aus seinem Klavierzyklus "Iberia" hat er die beiden Stücke "El Puerto" und "El Albaicín" ausgesucht. Albéniz beschreibt hier die Stadt El Puerto de Santa María in Cadiz und den Stadtteil Albaicín in Granada mit Flamenco-Rhythmen. Für Jiang die perfekte Musik, um mit Schwung in den Tag zu starten:
"Der Rhythmus ist so wichtig! Du hast einen stabilen Rhythmus, du hast eine stabile Harmonie und darum legt man dann den Gesang, die Melodien und alles. Ich fand es einfach toll, wie Albéniz das auf dem Klavier darstellt.“
Zum Lunch nach Paris, zum Sundowner nach Rom, zum Feiern nach Valletta
Von Andalusien aus springt Jiang nach Paris. Hier flaniert er mittags zu eleganten Melodien von Maurice Ravels Walzer "Vallee des cloches" an der berühmten Sacré-Cœur vorbei, kehrt zum Nachmittag zu Ottorino Respighis "Valse caressante" auf der Piazza di Spagna in Rom ein, wo er in der späten Nachmittagssonne einen Espresso schlürft, und zieht schließlich zum Feiern weiter in die Stadt Valletta auf die Insel Malta, wo er zu Robert Schumanns "Carnaval" einen ziemlich wilden Maskenball besucht.
Stilistische Vielfalt
Mit seinem virtuosen und brillanten Spiel schafft es Yi Lin Jiang, jeden Ort anders klingen zu lassen. Orientiert hat er sich dafür am Klang der verschiedenen Landessprachen:
"Bei Respighi habe ich versucht, das sehr frei und gesanglich, melodisch zu spielen, denn die italienische Sprache ist ja manchmal wie eine Singsprache. Französisch: sehr artikuliert, aber gut verbunden! Spanisch: sehr rhythmisch und präzise! Und bei Schumann habe ich mir vorgestellt, dass es wie unsere schönste romantische Poesie zu Zeiten von Sturm und Drang klingt. Und das habe ich versucht, auf das Klavier zu übertragen.“

Breite Palette an Klangfarben
Über die gesprochene Sprache eine Brücke zur musikalischen Sprache zu schlagen: das gelingt Yi Lin Jiang sehr gut. "Fête du Soleil" ist ein stilistisches Feuerwerk, bei dem der Pianist eine ganze Palette an Klangfarben und Klangsprachen beherrscht – von zupackender Virtuosität bei Albéniz, eleganten, perlenden Walzermelodien bei Ravel, lässig-verspielten "Dolce Vita"-Momenten bei Respighi bis zu einem nervös-aufgeregten Anschlag bei Schumanns "Carnaval".
Wer mag, kann beim Hören die Geschichten zu den Orten im ausführlichen Booklet mitlesen. Das Album funktioniert mit den farbigen, stimmungsvollen Interpretationen aber auch so - wobei man mit ein bisschen Phantasie die glitzernden Sonnenstrahlen auf der Haut tatsächlich spüren kann.
Beate Stender, rbbKultur