Neuköllner Oper - "Berlin Karl-Marx-Platz"
Hakan Savaş Mican ist Autor und Hausregisseur am Berliner Maxim-Gorki-Theater. Sein neues Stück ist aber an der Neuköllner Oper uraufgeführt worden – "Berlin Karl-Marx-Platz". Es ist der zweite Teil seiner Berlin-Trilogie.
Im Zentrum stehen Lisa und Cem, ein deutsch-türkisches Liebespaar. Die beiden lernen sich 1990 kennen, als er gerade aufgehört hat, als Koranlehrer zu arbeiten und ein Leben als Comic-Zeichner beginnt.
Lisa und Cem, ein deutsch-türkisches Liebespaar
Er trifft sie auf der Straße in Neukölln, wo sie billige Zigaretten verkauft. Sie kommt aus Marzahn und will eigentlich klassischen Gesang studieren, aber sie übt nicht genug – sehr zum Kummer ihrer Großmutter, bei der sie aufgewachsen ist, weil ihre Eltern beim Versuch, die DDR zu verlassen, ums Leben kamen. Doch jetzt ist die Mauer gefallen. Lisa und Cem ziehen in eine kleine Wohnung am Karl-Marx-Platz und versuchen glücklich zu werden – doch so richtig gelingt es ihnen das nicht.

Keine landläufigen Klischeevorstellungen
Cem gibt sich alle Mühe. Er ist Moslem, aber kein Macho. Lisa den Rücken freizuhalten, damit sie Zeit für ihren Gesang und ihre Geschäftsideen hat, ist für ihn selbstverständlich. Und sie ist ein Verkaufstalent, verdient mit Tupperware, Vibratoren und Mate-Limonade ein kleines Vermögen, während Cem sich ums gemeinsame Kind kümmert. Die landläufigen Klischeevorstellungen greifen also nicht: Cem ist kein Pascha, Lisa keine Tussi.
Dass sie nicht zusammenpassen, hat nicht mit ihrer Herkunft, sondern mit ihren Lebensansichten zu tun. Sie denkt zu viel ans Geldverdienen, er ist ein romantischer Träumer, der sich nach Nähe und Wärme sehnt.
Verschiende Herkunftsmilieus
Das Stück versucht schließlich auch, von den Herkunftsmilieus zu erzählen: Cems Mutter ist eine alleinerziehende Fabrikarbeiterin und sehnt sich danach, in die Türkei zurückzukehren. Ihr Junge soll vorher aber schnell noch studieren und Arzt werden. Lisas Großmutter hingegen war Opernsängerin und erwartet, dass ihre Enkelin in ihre Fußstapfen tritt. Es geht also auch um die Pläne, die die Alten für die Jungen machen und die natürlich zum Scheitern verurteilt sind.

Schnelle Rhythmen
Die Musik von Jörg Gollasch treibt die Handlung mit schnellen Rhythmen voran. Schlagzeug und Klavier geben den Ton an, doch es gibt auch diverse Streichinstrumente, eine Gitarre und eine Oud, die an die Türkei denken lässt.
Die Bühne ist breit und wird nach hinten durch einen Vorhang aus weißen Fäden begrenzt. Dahinter schimmern ein paar Fenster durch, doch der Vorhang ist auch Projektionsfläche. Man sieht Straßenszenen aus Neukölln und Marzahner Hochhauslandschaften.
Hakan Savaş Mican will viel erzählen – das Gesellschaftliche und das Private, die Liebesgeschichte und die Emanzipation der Kinder von ihren Eltern. Das gelingt, aber nur um den Preis einer skizzenhaften Spielweise. Es gibt jede Menge Handlungssprünge, nichts wird psychologisch hergeleitet. Dem Drive der Geschichte tut das aber keinen Abbruch.

Überzeugende Besetzung
Hasan Taşgın spielt Cem. Er ist in Neukölln geboren und bringt Street Credibility mit, aber er ist auch jemand, der viel ausstrahlt, ohne viel zu machen. Den Konflikt des Sohnes, der seine Mutter liebt und zugleich von ihr weg will, zeigt er mit einem verzweifelten Kopfnicken, und wenn er Lisa begegnet, beginnen seine Augen zu strahlen. Er ist von einer so gewinnenden Fröhlichkeit, dass Alida Stricker als Lisa neben ihm fast spröde wirkt. Und auch die Elternfiguren überzeugen: Berivan Kaya gibt Cems Mutter eine verträumte Melancholie, Rita Feldmeier als Lisas Großmutter ist schroff und hart. Potsdamer Theatergänger:innen kennen sie vom Hans Otto Theater. Wenn sie auftritt, ist eine kalte Grundspannung da.
Vielschichtige, beschwingt-melancholische Inszenierung
Der Regisseur hat mit diesen unterschiedlichen Temperaturen und Energiepegeln geschickt gearbeitet. Die Stimmungen wechseln, die Szenen gehen rasant ineinander über – bis zum überraschenden Schluss. Hakan Savaş Mican ist eine vielschichtige, beschwingt-melancholische Inszenierung gelungen.
Oliver Kranz, rbbKultur