The Tallis Scholars im Pierre Boulez Saal - Josquin des Prez: Die frühesten Messen
Was für ein Unternehmen: 18 Messen in vier Tagen und acht Konzerten aufführen! Die Tallis Scholars haben dieses Wagnis im Pierre Boulez Saal auf sich genommen, aber sicher auch das besondere Erlebnis.
Eigentlich hätten dieses Konzerte schon zum 500. Todestag des großen Renaissance Komponisten Josquin Desprez (1450-1521) stattfinden sollen, aber letztlich ist gerade Josquins Musik jedes Jahr frisch und etwas Besonderes. Er war der erste wirkliche Superstar der Musikgeschichte und hatte auch ein entsprechendes Selbstbewusstsein. Erstmals klingt auch die Musik zur Heiligen Messe nicht nur mystisch oder gelehrt, sondern ganz persönlich. Dies gilt sogar dann, wenn wie im zweiten Konzert der Serie die Kanonkünste im Vordergrund stehen.
Der Klang ist äußerlich schön, allerdings immer gleich dicht
In der "Missa ad fugam" steht das Verfahren sogar im Titel. Trotzdem ist es nicht einfach, die Kanons wirklich zu verfolgen, denn es werden von Josquin viele "falsche" Spuren gelegt, scheinbare Kanons sind nur thematisches Material aus ihnen. Und dann wird man schnell von den harmonischen Experimenten dieser frühen Messe bestrickt und nicht zuletzt von den unendlich eleganten Linien der frei schwebenden Stimmen in der Horizontalen.

Leider ist das hier nur ideal beschrieben, in der Aufführung der Tallis Scholars unter Peter Philipps fand sich davon wenig. Dies liegt einmal daran, dass offenbar nur wenig geprobt wird und alle Sänger:innen sich sehr konzentrieren müssen, um gut zusammen zu bleiben. Das gelingt durchaus, der Klang ist rein äußerlich sehr schön, alles gut intoniert. Andererseits klebt man dann doch eher in der Vertikalen, ist der Klang immer gleich dicht, haben ornamentierte Noten das gleiche Gewicht wie wichtige Noten, da müsste man dann wirklich proben. Auch fragt man sich, warum hier eigentlich "dirigiert" werden muss, wenn es nur immer gleich gewichtige (oft nachzitternde) Tactus-Schläge sind.
Wie ander das sofort klingt, wenn einmal nicht kompakt doppelt besetzt sondern solistisch gesungen wird: Da ist plötzlich diese Josquin-Freiheit, diese Originalität der Linien nicht kleingliedrig, sondern frei schwingend zu hören!

Eine hörenswerte Abenteuerreise
In der späten "Missa sine Nomina" ist dann schon kompositorisch alles ganz anders. Hier komponiert Josquin ganz offen kanonisch, imitatorisch, kleingliederig. Nicht weniger originell, aber schon ganz im 16. Jahrhundert angekommen. Das liegt den Tallis Scholars viel mehr, die kurzgliedrigen Motive kann man dann auch in dieser kompakten Anordnung viel spotnaner gestalten.
In jedem Fall ist aber diese Abenteuerreise hörenswert, denn Josquins Musik ist sicher so bedeutsam wie die Malerei Leonardos!
Clemens Goldberg, rbbKultur