
Bar jeder Vernunft - "Die Bettwurst - Das Musical!"
Paradiesvogel, Exzentriker, Tabubrecher und nimmermüder Filmemacher – so kennt man den Künstler und schwulen Aktivisten Rosa von Praunheim. Einer seiner ersten Spielfilme ist "Die Bettwurst" aus dem Jahr 1971. Kurz vor seinem 80. Geburtstag inszeniert Rosa seinen Kultfilm nun als Musical in der Bar jeder Vernunft.
Heftiger, zwar nicht sehr langer, aber irgendwie von Herzen kommender Applaus bei der Uraufführung des Musicals "Die Bettwurst" von Rosa von Praunheim. Wohl auch, weil es böse hätte ins Augen gehen können. Und aus ein bisschen was ein wenig mehr gemacht wurde. Beim Schlussapplaus war Rosa von Praunheim, als sein eigener Autor und Regisseur, den Tränen nah. Man kann’s verstehen - hier rundet sich paradox das Lebenswerk eines beinahe 80-Jährigen.

Eine halbschwule Variante von "Angst essen Seele auf"
Mit Musicals hatte er bislang nichts zu tun. Als Galionsfigur der Schwulenbewegung haderte er mit dieser (und sie mit ihm) oft. Nun aber: Zeit der Zärtlichkeit. Auf seine alten Tage hat Rosa sein Musiktheater-Gesellenstück abgeliefert.
Keine geringe Leistung, wenn man bedenkt, dass der Kultfilm "Die Bettwurst" über 50 Jahre her ist. Als jüngere Person muss man Kulturwissenschaften studiert haben, um ihn noch zu kennen. Es handelte sich um eine Art halbschwule Variante von "Angst essen Seele auf". Eine "Berliner Tunte" verliebt sich in eine ältere Frau. Im Film war das die legendäre Luzie Kryn – Praunheims Tante –, die ihren schrillen, zweiten (oder dritten) Frühling feierte. Die Verklärung des Liebespaars findet singend im Himmel statt.
Anna Mateur in der Hauptrolle ist eine Bombe
Die titelgebende Nackenrolle wiederum war im Film das phallische Zubehör einer sexuell aufgereizten, leicht lächerlichen Schlafzimmer-Possierlichkeit. Sie versinnbildlichte das Spießigwerden der sexuellen Revolution. Im Musical jetzt ist sie fast nur noch Selbstreferenz des damaligen Erfolgs. "Wir sind alle eine Bettwurst", singt man etwas nebulös.
Natürlich steht das auch für den eisern durchgehaltenen Frontkämpfer-Gestus, den Rosa noch immer hat; obwohl die großen Siege der Schwulenbewegung wohl längst gewonnen wurden. Klaus Wowereit saß bei der Premiere im Publikum.
Der Film war lustig als Pamphlet des Dilettantismus. Das Musical wird es, weil Anna Mateur in der Hauptrolle eine Bombe ist. Endlich tut mal jemand etwas für diese großartige Darstellerin. Schon bei "Frau Luna", damals in einer Nebenrolle, lehrte sie sämtliche Bühnenkollegen das Fürchten – wegen einer schier erschlagenden Bühnenpräsenz. Anna Mateur sieht aus wie die weibliche Mischung aus Ades Zabel und Divine (von John Waters). Passt super. Ihr Bühnenpartner Heiner Bomhard, der auch die Musik geschrieben hat, schüttelt seine Locken für sie. Ein Tanztrio umspringt die beiden und fungiert als antiker Chor. Bizarr.
Auf der kleinen Bühne ist nicht viel Platz. Ein Drehbühnenring wie bei einem Wetterhäuschen bringt die Darsteller in Schwung. Die Musik klingt wie Parlando-Schlager ohne wirklich tragfähige Melodien. Da die Handlung dünn bleibt, braucht man sie. Da sie selber auch dünn ist, sind die Titel ein bisschen kürzer. So stimmt’s wieder.

Die Zeiten haben sich geändert
Den Film kennen muss man nicht. Viel mehr als Zielgruppenbespaßung wird trotzdem nicht daraus. Man realisiert, wie sich die Zeiten geändert haben. Die LGBTQ+-Bewegung hat den Blick erweitert. Hier bleibt’s nostalgisch, immerhin. Ein Geschenk, quietschrosa, zum bevorstehenden Jubiläum eines Altvorderen, der unsinkbarer erscheint denn je.
Demnächst droht Rosas neuer Film (über Rex Gildo). Und ein neues Buch: "Hasenpupsiloch". (Den kann dann Til Schweiger mal verfilmen...) Es ist, ich vermute, kein Kinderbuch.
Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur