Musikfest Berlin | Philharmonie Berlin - Ludwig van Beethoven: "Missa solemnis"
Beethovens "Missa solemnis" ist ganz sicher nicht für einen liturgischen Gottesdienst geschrieben, sondern für einen weltlichen Konzertsaal. Beethoven war auch vermutlich nicht gläubig in einem christlichen Sinn. Trotzdem glaubte er an eine "höhere Macht", Quelle der Musik, die womöglich die Welt zum Besseren verändern könnte. Von "Herz zu Herz" sollte diese ja durchaus schwierige Musik gehen! Mit John Eliot Gardiner hat man beim Musikfest einen hochkarätigen "Hohepriester" für diese Messe gefunden.
Fast 30 Mal hat er das Werk aufgeführt, ein Schlüsselwerk auch für ihn. Die großen Herausforderungen an Chor, Orchester und Hörer meisterten alle Beteiligten auf höchstem Niveau.
Besondere Farben
Die besonderen Farben des Orchestre Révolutionnaire (so revolutionär ist es gar nicht mehr!) et Romantique sind radikaler als in modernen Orchestern, der Monteverdi Choir kann die starken Kontraste und die vielen wahnwitzig hohen Sopranstellen eindrucksvoll meistern, die Solist:innen fügten sich nahtlos in Orchester und Chor ein, Lucy Crows Sopran setzte Glanzlichter und ließ himmlische Ahnungen aufscheinen.
Ein spürbar radikales, kompromissloses und aktuelles Werk
Vor allem aber wurde in Gardiners Deutung die Radikalität und Kompromisslosigkeit des Werkes hautnah spürbar. Drastische Kontraste von Laut und Leise, mystische Pianissimi, erschreckende Visionen des Alls, wenig Hoffnung auf Gnade und Liebe, die "Messe" als Weltendrama.
Es dauert so lange wie eine Mahler-Sinfonie, man vergass aber völlig die Zeit, keinerlei Wegträumen möglich. Am Schluss die Bitte um Frieden, die aber sehr kriegerisch mit Fanfaren und Schlachtenlärm kontrastiert ist. Friede, sagt uns Beethoven, ist nicht einfach so zu haben, nur weil wir es wünschen, er muss hart errungen, auch erkämpft werden. Wie aktuell das doch gerade heute ist!
Clemens Goldberg, rbbKultur