Musikfest Berlin | Philharmonie Berlin - Collegium Vocale Gent unter Philippe Herreweghe
Das Musikfest Berlin konnte einen weiteren Hochkaräter aufbieten: Philippe Herreweghe mit seinem vor über einem halben Jahrhundert gegründeten Originalklangensemble Collegium Vocale Gent. Und das mit einem der Gipfelwerke des Frühbarocks: Claudio Monterverdis "Vespro della Beata Vergine", seiner "Marienvesper".

Dieses Stück ist eine Demonstration: Claudio Monterverdi hat hier alles zusammengefasst, was nur irgendwie stilistisch (un-)denkbar war: solistische Besetzungen gegen große Ensembles, alter Kirchenstil gegen bassgestützte Monodie, Erhabenheit und Sinnlichkeit auf engstem Raum, eine Art selbstbewusstes Kompendium, das auch Errungenschaften der gerade erst und von Monteverdis maßgeblich mitgeprägten Oper nicht ausschließt.
Schrecken vs. Erotik
Philippe Herreweghe weiß, dass dieser Musik nichts Menschliches (und Geistliches) fremd ist. Oft hat man das aufgedonnert erlebt - das gibt es hier nicht. Es ist vor allem eines: agil. Es fließt, rhythmisch gut gefedert, mitunter fast tänzerisch. Mit Innehalten, wo es angebracht ist, aber mit voller Emotionalität.
Schreckensvisionen wie "Er hält Gericht unter den Völkern, er häuft die Toten" stehen hier gegen erotische Zeilen aus dem Hohelied wie "Darum hat mich der König auserwählt und in sein Schlafgemach geführt". Herreweghe lässt das alles auskosten. Das ist keine Sekunde trocken oder langweilig.
Raumklänge
Und das in der Großen Philharmonie mit weit über 2.000 Plätzen? Mit gerade einmal um die 40 Mitwirkenden? Es funktionierte - mal so intim wie in einem Wohnzimmer, dann in voller Stärke das Haus erbeben lassend, bis in den letzten Winkel akustisch gleißend hell ausgeleuchtet.
Besonders faszinierend, wenn das alles auf engstem Raum zusammenkam mit köstlichen Echoeffekten: frontal ins Publikum geschmettert, und dann aus einer entfernten schummerigen Ecke imitiert. Raffinierter geht es kaum.

Sternstunde mit Ansage
Hier waren alle auf der Höhe ihres Könnens. Herausgegriffen: die Sopranistin Dorothee Mields, seit vielen Jahren an der Spitze der Vokalkunst in Sachen Alter Musik. Wie sie Texte präsentiert wie "Wende deine Augen von mir, denn sie zwingen mich, vor dir zu fliehen", ist so verführerisch wie augenzwinkernd und ein klein wenig ironisch. Ein Spiel mit köstlichsten Nuancen, dem die anderen kaum nachstanden.
Überraschend kommt das nicht - vor fünf Jahren hat Philippe Herreweghe das auf CD herausgebracht. Live im Konzert ist das dann doch noch einmal etwas ganz Besonderes. Dieser Genuss war eine Sternstunde mit Ansage.
Andreas Göbel, rbbKultur