Philharmonie Berlin - Herbert Blomstedt dirigiert die Berliner Philharmoniker
Ende Juni sollte die Dirigentenlegende Herbert Blomstedt die Staatskapelle Berlin dirigieren. Aufgrund eines Sturzes musste der inzwischen 95 Jahre alte Dirigent sehr kurzfristig absagen. Christian Thielemann war damals für ihn eingesprungen. Inzwischen ist Blomstedt wieder fit geworden und konnte die Berliner Philharmoniker dirigieren.
Die Philharmonie war ausverkauft, am Ende gab es stehende Ovationen für Herbert Blomstedt. Ein bisschen Vorsicht hat man walten lassen. Blomstedt kam mit dem Orchester auf die Bühne und nahm auf seinem Stuhl Platz. Am Ende geleitete ihn der Erste Konzertmeister Noah Bendix-Balgley die kleine Treppe herunter. Aber das alles war nur das Äußerliche. Und überhaupt: mit 95 so fit zu sein, das mag sich jeder wünschen, selbstverständlich ist das nicht.
Trampolin und Vitamin C
Die Berliner Philharmoniker haben hier ganz für Herbert Blomstedt gespielt. Hier wurde nicht einfach nur umgesetzt, sondern jede kleinste Geste fand im Orchester Widerhall.
Franz Schuberts dritte Sinfonie hatte jede Schwere verloren. Fast meinte man, ein Originalklangensemble zu hören, so trampolinartig federnd war das. Das hatte einen Energieschub mit Vitamin C: gehaltvoll, niveauvoll und gut durchblutet.
Prinzip Hoffnung
Beethovens siebte Sinfonie. Welch ein Anspruch. Aber Herbert Blomstedt hat zunächst einmal das Staubtuch herausgeholt. Da wurde der Konzertsaal zum Tanzsaal. Aber diese Wucht hat auch an Abgründe geführt. Der Jubel war kein Selbstzweck, da war auch eine Spur von Trotz, dem Angst, der Bedrohung etwas entgegenzusetzen.
Gerade im zweiten – nicht langsamen – Satz spürte man, wie Beethoven für die Katastrophen seiner Zeit Töne suchte, aber nicht dabei blieb. Es ist – so die Botschaft – nicht alles verloren. Man darf nicht den Kopf in den Sand stecken, sondern muss – auf der Basis von Hoffnung – sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Beethovens und Blomstedts Credo: Wir können die Welt besser machen.
Aufrüttelnd und bewegend
Das war ein bewegender Abend: wie dieser große Dirigent mit seinen 95 Jahren dieser Musik seinen eigenen Stempel aufdrückt. Wie die Berliner Philharmoniker für ihn mit Hingabe und Leidenschaft spielen.
Und wie Herbert Blomstedt vermittelt, dass Musik, wenn man sie denn ernst nimmt, nicht nur ein freundlicher Zeitvertreib ist, um mal die Sorgen des Alltags oder der Weltlage zu vergessen. Die vielmehr den Anspruch hat aufzurütteln, nicht zu verzweifeln, Energie zu spenden, um aktiv zu werden, etwas zu verändern.
Kurz: Herbert Blomstedt hat Beethoven verstanden wie lange nicht mehr jemand zuvor.
Andreas Göbel, rbbKultur