Philharmonie Berlin - Die Berliner Philharmoniker unter Marek Janowski
Lange Jahre war Marek Janowski Chefdirigent des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin. Jetzt präsentierte er sich am Pult der Berliner Philharmoniker - und das mit einem Klassik-Hit und einer Entdeckung: Schumann und Reger.
Die Frage muss erlaubt sein: Muss man das Klavierkonzert von Max Reger wirklich aufführen?! Das ist ein ziemlich unverdaulicher Brocken: Schweinshaxe mit Bier, Katastrophenfilm-Untermalung und Ballett der kleinen Nilpferde, so klingt das jedenfalls. Wer will das hören?!
Aber: Wenn man das schon spielen will, dann so wie jetzt aktuell bei den Berliner Philharmonikern. Marc-André Hamelin tatzt den Klavierpart, der mindestens eine Hand mehr erfordert, locker in die Tasten, aber noch viel mehr: Er hat das Stück verinnerlicht, spielt es auswendig und ist ein überragender Gestalter: Da klingt ein Thema wie ein Wiegenlied, da wird plötzlich jeder Ton ganz kostbar, da vergisst man bei Spätsommermelancholie jede Überspanntheit. Welch großartiger Pianist!
Gerettet durch Weltklasseleistung
Marek Janowski gibt Marc-André Hamelin die nötige Stütze - und sorgt selbst für klangliche Raffinesse. Das ist das Plüschsofa, auf dem sich der Pianist ausbreiten kann. Und selbst im Finale mit bisweilen gewöhnungsbedürftiger bajuwarischer Ausgelassenheit kann man das Augenzwinkern nicht überhören.
Wird das der Auftakt zu weiteren Aufführungen? Das sicher nicht. Dieses spröde Stück kann nur auf das Programm setzen, wer eine entsprechende Weltklasseleistung aufzubieten vermag. Hamelin und Janowski sind leidenschaftliche Anwälte dieses Werkes. Aber darunter darf man es nicht machen. Will heißen: die nächsten 50 Jahre wird man das so nicht mehr hören.
Schumann im Fitness-Studio
Marek Janowski ist ein Meister darin, die vielgespielten Werke der klassischen Literatur neu zu lesen, wenngleich "neu" der falsche Begriff ist. Er verzichtet ganz einfach auf Stereotypen und liest die Musik konsequent aus ihrer eigenen Kraft und Substanz. Was er mit Robert Schumanns "Rheinischer" vorhatte, vermittelte sich bereits am Beginn, wo er turnierpferdartig den Beginn fast in den Applaus spielte. Wie oft hat man dieses Werk schwerfällig und fett gehört. Hier ist es zehn Kilo leichter, und Janowski ist gleichzeitig auch noch mit dem Staubtuch drüber gegangen.
Und die Philharmoniker? Die hat man selten mit einer solchen Freude gehört. Welche Klarheit, wo die kleinsten Figuren herausgezirkelt wurden. Das hatte eine Unerbittlichkeit, eine Tiefe, eine Wucht. Da fühlte man sich von der Musik geradezu gepackt. Das hat diesem Werk alle Schnarchnasigkeit ausgetrieben. Schumann im Fitness-Studio.
Fast schon überflüssig zu sagen: die Berliner Philharmoniker sollten nicht überlegen, ob sie Marek Janowski wieder einladen, sondern nur: wann. So gut gelaunt ist man nicht immer aus einem Konzert gekommen.
Andreas Göbel, rbbKultur