Wagners "Ring des Nibelungen" an der Staatsoper Unter den Linden - "Das Rheingold" und "Die Walküre"
16 Stunden Opernrausch verspricht die Neuproduktion von Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen" an der Staatsoper Unter den Linden. Eigentlich wollte sich Daniel Barenboim, Generalmusikdirektor der Staatsoper, damit Geschenk zu seinem 80. Geburtstag machen. Aus gesundheitlichen Gründen hat er das Dirigat der insgesamt drei Zyklen jedoch an Christian Thielemann und Thomas Guggeis übergeben. Innerhalb einer Woche feiern alle vier Opern des "Ring"-Zyklus nun Premiere.
Bühnenluxus und Tand ist der erste Eindruck, den dieser "Ring des Nibelungen" vermittelt. Bei aller Modernität verspricht er der teuerste und materialgewaltigste zu werden, den zumindest ich erlebt habe. 13 große Kasten-Bühnenbilder schnurren im "Rheingold" vor uns ab wie auf einer Perlenkette. Wenn links eins rausfährt, kommen rechts zwei neue Bühnenbilder rein. Wird eines nochmal gebraucht, muss es sich auf der anderen Seite wieder anstellen. Ein Wunderwerk der Verwandlungskunst – und dies 4 ½-stöckig horizontal und vertikal (mit zwei Tiefgeschossen). Eine Millionensumme hat das verschlungen. Hoch gepokert wird in diesem "Ring".
Ein Forschungsinstitut, in dem nach dem Neuen Menschen gefahndet wird
Regisseur Dmitri Tscherniakov zeigte sich nur im Publikum. Will sich den Lohn (oder Watschen) erst nach der "Götterdämmerung" abholen. Himmelhoch hinaus will sein Konzept. Wir befinden uns in einem Forschungsinstitut ("E.S.C.H.E.), in dem nach dem Neuen Menschen gefahndet wird. Wotan ist der Chef, Alberich sein Angestellter im Kellergeschoss. Die Abteilungen bekriegen einander gegenseitig. Dass Wotan die eigenen Kinder als Gegenstand von Menschen- und Verhaltensversuchen in den Betrieb einspeist – darum handelt es sich im Verlauf –, mag ungewöhnlich sein für ein Familienunternehmen. Konzeptuelle Leerstellen sind unausbleiblich.
Was soll das erbaute Walhall sein, in das man am Ende einziehen will, wenn das Institut schon fertig vor uns steht? Vom Gold ist zwar die Rede. Es erscheint aber nur noch als eine eugenische Formel oder DNA. (Ein MacGuffin in Alfred Hitchcocks Sinn.) Das sieht bei der Geldübergabe, wenn kein Geld zu sehen ist, reichlich blöd aus. Viel wichtiger: Wie will das Konzept vermeiden, in eine rechtsradikale Ecke zu rutschen?!
Hinter der Idee des Neuen Menschen lauert nichts anderes als der spätnietzscheanische Begriff des Übermenschen. Unrettbar. Wie sich die Aufführung aus dieser selbstgestellten Falle wieder befreit, möchte ich doch erleben.
Es sind die lichten, leichteren Stimmen, die den Ton angeben
Michael Volle gibt den Wotan als jovialen Apparatschik, der schon mal ausrastet und randaliert. Unternehmensführung alten Schlages. Anja Kampe spielt eine "Walküre von nebenan": stimmlich von großer Klarheit und Flexibilität. Ihre bislang beste Rolle. Vida Miknevičiūtė ist eine gleißend helle Sieglinde – wie überhaupt die lichten, leichteren Stimmen erfreulich den Ton angeben. Triumph für Johannes Martin Kränzle als Alberich! Und für Anna Kissjudit als Erda.
Es gibt auch Schwachstellen zu beklagen. Robert Watson kann als Siegmund kaum mithalten. Vor allem ist und bleibt Rolando Villazón als Loge eine groteske Fehlbesetzung. Mit der clownesken Anlage seiner Rolle kann ich leben. Weniger mit den, es tut mir Leid: kehlig krähenden, belegt bellenden Resten seines Tenors.
Überragend: "Einspringer" Thielemann
Einspringer Christian Thielemann nutzt seine Chance über Erwarten. Ich persönlich habe die Staatskapelle, wie ich sagen muss, live niemals besser gehört. Jeder "Ring", mag man bedenken, kämpft gegen die Gefahr, klumpig, klobig oder unförmig zu klingen. Nichts davon! Wie wundervoll geschichtet, innerlich gelöst und von Mendelssohn, Weber und sogar Humperdinck inspiriert. Sagenhaft, wie Thielemann die Dynamik auskostet: vom Flüsterton bis zur Explosion. Auch wie er Wotans Abschied in den Triumph eines abgewirtschafteten Gottes positiv umwertet – mit unerhörten Jubeltönen. Überragend.
"Das Rheingold" noch ruhte mir etwas zu sehr in sich. "Die Walküre" aber war das in meinen Augen beste Dirigat an einem Berliner Opernhaus in den letzten 30 Jahren. Thielemanns eigene Arbeiten mit eingerechnet.
Vielversprechend immerhin – und teuer. Einzelkarten gibt es nur, wenn was übrig bleibt. Der Rest wird im Viererpack geschlossen abgegeben, zu Eintrittspreisen von 75 bis 1.100 Euro. Das vergrößert die Kluft zur Oper und "verelitärt" das Genre. Von der Musik her trotzdem: erstaunlich.
Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur