Komische Oper Berlin - "Der fliegende Holländer" von Richard Wagner
Keine Freikarten-Claqueure diesmal. Bei Herbert-Fritsch-Premieren nämlich, einem Darling von Berlin, wird jeder Sitzplatz dringend gebraucht. Als Komödie hatte die Komische Oper diese Deutung des "Fliegenden Holländers" angezeigt. "Vorsicht!", so Fritsch. "Ich werde immer mit Komödie angekündigt, egal was ich mache."
Die Wahrheit ist, dass bei all der Grimassenpolitik, den popeyeartigen Bewegungschören, dem quietschbunten Kindertheater für Erwachsene, wofür der Regisseur steht, alles zur Farce mutiert. Der Holländer, mit roter Langhaarperücke, sieht aus wie ein Don Giovanni mit Hangover, ein übernächtigter Tom Cruise in "Interview With A Vampyre". Er ist der Oberzombie einer Meute von Schiffs-Untoten.
Die Spinnmädchen präsentieren sich als eine wildgeworden Horde von Serviermamsellen. Daland sieht aus wie Pique König mit Kapitänskäppi. Zur Schauerromantik des durchaus reißerischen Wagner-Stoffes passt dies aufgegrellte Personal erstaunlich gut. Der Abend hat ganz enorme Kraft.
Ein solcher Klopper von Wagner-Oper wird an diesem Haus normalerweise nicht gespielt. Dirk Kaftan am Pult tritt denn auch sofort die Flucht nach vorn an. Die Ouvertüre klingt dramatisch aufgeputscht, plakativ suspensemäßig, als sei's die Titelmusik zum "Tatort". Die Farben sind extremer, die stumpfen Konturen nachgezogen. Es ist ja richtig, wie ich glaube, bei einen solchen Sonderfall von Kompakt-"Holländer" auch das musikalische Erscheinungsbild zu radikalisieren.
Expressionistischer als gewohnt
Schwierig am "Fliegenden Holländer" sind vor allem die beiden Killer-Titelpartien. Daniela Köhler – sie singt im kommenden Jahr Brünnhilde in Bayreuth – hat für die Senta damenhafte Belcanto-Schreie im Revers. Wahre Herzstich-Töne, wie ich sie noch bei keiner Sängerin der Senta je erlebt habe. Günter Papendell als Holländer: aasig, moritatenhaft deklamierend, ein Mackie Messer auf See. Sie machen das ganz toll. Auch etliche im Ensemble, darunter Jens Larsen (Daland) und Caspar Singh (Steuermann), habe ich nie besser gehört oder gesehen als hier. Alles klingt eine Ecke expressionistischer als gewohnt. Und rechtfertigt sich durch eben diese Differenz.
Also: vielleicht Fritschs beste Opernarbeit bislang. (Sein "Don Giovanni" vor acht Jahren dagegen war für diese Art des Klapparatismus-Theaters ein zu langes und zu kompliziertes Stück ...). Übrigens ist der Mann einer der besten Chor-Regisseure, die ich überhaupt kenne, und kann damit hier prunken. Der Chor ist darstellerisch überragend. Ein Abend wie ein Faustschlag.
Kai Luehrs-Kaiser, rbbKultur