Biennale der Berliner Philharmoniker - Klavierabend mit Bertrand Chamayou
Die 50er- und 60er-Jahre stehen im Mittelpunkt der aktuellen Biennale der Berliner Philharmoniker - eine Zeit des Neuanfangs gerade auch in der Musik nach NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg. Der französische Pianist Bertrand Chamayou präsentierte Avantgardisten von damals, die heute längst Klassiker der Moderne sind.
Eigentlich beginnt es schon vorher. John Cage erfand das präparierte Klavier bereits Ende der 30er-Jahre - als Schlagzeug-Ersatz. Und er gab den Anstoß zu etwas, das bis heute in der zeitgenössischen Musik längst nicht mehr wegzudenken ist.
Klänge für das Entsetzen
Karl Amadeus Hartmann ging während der NS-Zeit in die innere Emigration, bezog in seinen Werken dabei aber immer explizit Stellung zu den Verbrechen der Nationalsozialisten. Seine Sonate mit dem Datum 27. April 1945 bezieht sich auf ein entsetzliches Verbrechen, als KZ-Häftlinge von SS-Schergen aus Dachau getrieben wurden, damit sie nicht von einmarschierten US-Truppen befreit werden konnten.
Wie findet man dafür Musik? Aus den ruhigen Klängen der Sonate kann man ohnmächtiges Entsetzen heraushören, mehr noch aus wütenden Klangballungen – auch heute noch ein erschütternd klingendes Zeitdokument.
Virtuos, aber irgendwie gleich
Bertrand Chamayou stellt seine Interpretationen ganz in den Dienst der Musik, besser: der Noten. Das ist alles höchst virtuos, ob nun die Variationen von Luciano Berio oder ein frühes Klavierstück von Olivier Messiaen. Der Pianist spielt das scheinbar, ohne auch nur einen Schweißtropfen zu verschütten. Das ist beeindruckend, wirkt aber auch ein wenig abgeliefert. Ob das Spielerische bei Berio oder das Orgiastische bei Messiaen – irgendwie klingt es alles gleich.
Spielkind und Sezierer: György Ligeti
Natürlich durfte György Ligeti – 100. Geburtstag in diesem Jahr – nicht fehlen. Vor 70 Jahren schrieb er seine "Musica ricercata" – auch eine Reaktion auf die Restriktionen, mit denen zahllose Künstler der Zeit hinter dem Eisernen Vorhang zu kämpfen hatten. Ligeti reagierte mit absoluter Anarchie, nahm die Musik auseinander, um sie neu zusammenzusetzen.
Da wird ein Ton in die Tasten gedonnert, Melodie und Begleitung haben nichts mehr miteinander zu tun. Das ist halb Spielkind, halb jemand, der die Musik komplett systematisch seziert und analysiert. Ligeti entwickelt mit mathematischer Präzision Systeme, um diese dann an ihre Grenzen zu führen und außer Kontrolle geraten zu lassen. Einer der klügsten und intelligentesten Köpfe der Moderne bis heute.
Und da ist Bertrand Chamayou ganz in seinem Element. Mit Eiseskälte geht er Ligetis subversiven Systemen nach, voller Witz und Ironie. Das Rhythmische meißelt er heraus, als wenn er Jazz spielen würde. Aber er findet auch das Sinnliche in Ligetis Musik - spätestens in seiner zweiten Zugabe: Ligetis Etüde "Arc-en-ciel". Da tupft er die zarten und sanften Klänge in den Flügel - bis ganz oben die Tasten aufhören und das Stück zwangsläufig zu Ende sein muss. Ein kleines ironisches Lächeln, das hat Spaß gemacht.
Andreas Göbel, rbbKultur