Biennale der Berliner Philharmoniker - Daniel Harding dirigiert die Berliner Philharmoniker
Hier passt einiges zusammen – die Zeit der 50er- und 60er-Jahre und der 100. Geburtstag von György Ligeti in diesem Jahr. Dennoch stand der Auftakt des Festivals durch die Absage von Kirill Petrenko unter keinem guten Stern.
Die 50er- und 60er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts – das ist eine faszinierende Zeit, gerade in der Musik. Nach der Katastrophe von NS-Diktatur und Zweitem Weltkrieg stellte sich nicht nur, aber auch in der Musik die Frage nach einem Neuanfang. Wie kann man zum Beispiel propagandabedingten Missbrauch von Musik verhindern?
Die Lösungsansätze waren denkbar verschieden – vom Beharren auf Traditionsverbundenheit bis hin zu einem vollständigen Bruch.
Gefällig und modern
Bemerkenswert war die Auswahl der beiden Stücke von György Ligeti. Das jüngere, "Lontano", von 1967, geht von einem Ton aus, der sich verzweigt und fast süßlich meditativ, duftig und freundlich in Klänge aufgeht – aus heutiger Sicht gefällig und längst nicht mehr "modern".
Ganz anders dagegen die sechs Jahre früher entstandenen "Atmosphères" – das Werk, das Ligeti bekannt gemacht hat, und dann auch berühmt, als Stanley Kubrick es für seinen Film "2001 – Odyssee im Weltraum" verwendete, ohne den Komponisten vorher gefragt zu haben.
Hier verschieben sich Klangflächen betonschwer. Immer noch wirkt der Übergang von kreischenden Bläsern gefühlt metertief hinab in das Brummen der Kontrabässe. Einmal klingt es wie Baulärm mit Sirenen. Das hat seine Modernität im besten Sinne bis heute erhalten.
Ein Notprogramm
Eigentlich sollte Chefdirigent Kirill Petrenko dieses Auftaktkonzert zur Biennale dirigieren. Aufgrund seiner Fußverletzung, die einen routinemäßigen Folgeeingriff verlangte, wie das Orchester mitteilte, musste er absagen, und Dauereinspringer Daniel Harding übernahm.
Dadurch musste aber auch die geplante Uraufführung eines neuen Werkes von Miroslav Srnka abgesagt und auf die kommende Spielzeit verschoben werden. Die Vakanz ersetzte Harding, passend zum gesetzten "La mer" von Claude Debussy mit den "Okeaniden" von Jean Sibelius und den "Sea Interludes" aus der Oper "Peter Grimes" von Benjamin Britten.
Wo bleibt das "Ich"?
Der knappe Sibelius fällt unter die Kategorie "zu Recht vergessen", aus den beiden Meisterwerken von Britten und Debussy hätte man allerdings etwas machen können. Wie bei den beiden Stücken von Ligeti suchte Daniel Harding auch hier die genaue Umsetzung, sorgte mit den nötigsten Bewegungen für die präzisen Abläufe.
Das ist grundsolide, aber es fehlt Harding nach wie vor eine eigene Handschrift. Britten klang trocken, wie Dienst nach Vorschrift, bei Debussy war dann der Knoten geplatzt, man erlebte die Philharmoniker mit spielerischer Freude, konnte das ganze Plätschern, Windepfeifen und auch die Sonnenstrahlen wiederfinden.
Das war eine erfrischende Aufführung – verglichen allerdings mit dem, was die Philharmoniker vor etlichen Jahren unter Claudio Abbado mit diesem Werk gezeigt haben – da stand das Meer für die Urgewalt, für die brutalen, zerstörerischen Kräfte, und man konnte hinterher vor Ergriffenheit kaum ein Wort sagen – war das hier eher ein Planschen in der Badewanne, halt ganz nett – und viel zu wenig.
Ein durchwachsener Auftakt der aktuellen Biennale – sicher auch den Folgen der Umbesetzung geschuldet. Aber man hat ja noch zwei Wochen Programm vor sich.
Andreas Göbel, rbbKultur