Komische Oper Berlin - "Hamlet" von Ambroise Thomas
Dieser Wahnsinn hat Methode – und die Komische Oper hat damit ein neues Juwel im Spielplan. Dreieinhalb Stunden braucht dieses Schwergewicht, aber der lange Atem lohnt sich – nicht zuletzt durch die exzellente Besetzung der Hauptpartien.
Dabei hat es die Regie zunächst nicht leicht – Ambroise Thomas hat aus William Shakespeares Drama eine eher lyrisch angelegte Oper geformt, und Regisseurin Nadja Loschky setzt zunächst auf eine freundliche Bebilderung. Das Ganze spielt in der Eingangshalle eines Schlosses, vielleicht auch eines großen Herrenhauses – jeden Edgar-Wallace-Krimi könnte man dort ansiedeln.
Ein Kunstgriff zieht sich allerdings durch den gesamten Abend: Der Narr Yorick – bei Shakespeare nur als Totenschädel existent – erscheint hier lebendig als Alter Ego von Hamlet. Gleich am Beginn darf er ein kleines Lied singen. Und trotzdem: bis zur Pause bleibt vieles statisch, dominiert gepflegte Langeweile.

Totengräber ohne Köpfe
Nach der Pause nimmt es an Fahrt auf, dafür hat sich die Regisseurin auch ihre besten Einfälle aufgehoben. Das Haus ist jetzt im Verfallszustand: leere Fenster, überall Schutt, vielleicht auch Erde – manches erinnert an einen Friedhof. Auch die Personenführung ist jetzt lebendiger: wenn der Narr Hamlet andeutet, Claudius ist doch jetzt allein, jetzt könnte er ihn beseitigen – das bringt sogar leichtes Schmunzeln ins Publikum (und das bei Hamlet!).
Und wie die Ballettmusik dazu genutzt wird zu zeigen, wie sich Ophelia die Hochzeit mit Hamlet gewünscht hätte – wie die beiden Doubles miteinander tanzen, das ist richtiggehend anrührend. Und schön sind auch die Totengräber mit Anzug und Aktenkoffer, aber ohne Köpfe. Da ist dann wirklich einiges los, das ist phantasievoll, schlüssig und unterhaltsam.

Pluspunkt: die Besetzung
Die sängerische Besetzung konnte sich hören lassen, vor allem aber die beiden Hauptpartien waren grandios gecastet. Der junge britische Bariton Huw Montague (!) Rendall ist nicht nur darstellerisch stark – er hat eine blühende Stimme, mal kultiviert, als wenn man sie in einer Vitrine ausstellen könnte. Seinen großen Monolog (die Sache mit dem Sein oder Nichtsein) gestaltet er dann abgeschattet, gedämpft, fast erstickt, dann wieder aufflackernde Ausbrüche. Ein unglaublicher Facettenreichtum.
Ebenfalls noch sehr jung: die Darstellerin der Ophelia, die US-Amerikanerin Liv Redpath. Im ersten Teil voller stimmlicher Unschuld, puderzuckerbestreut und porzellanartig in der Stimme. Dann im vierten Akt in ihrer Wahnsinnsszene mit geradezu aberwitzig schweren Koloraturen gleichermaßen sprühend wie erschütternd. Da hat man den Atem angehalten. Beide Namen muss man sich merken

Pluspunkt: die Dirigentin
Ihr Debüt an der Komischen Oper hat die junge französische Dirigentin Marie Jacquot gegeben. Und das Orchester ist unter ihrer Leitung über sich hinausgewachsen. So heikel die Akustik im renovierungsbedürftigen Saal ist – hier stimmte alles. Das hatte Eleganz und Wärme, da war nie etwas zu laut. Für das Ensemble, die Solopartien, den Chor hat sie ein
musikalisches Samtkissen geschaffen. Natürlich hat sich auch orchestrale Akzente gesetzt, aber dann auch geradezu selbstlos unterstützt.
Kurz: So gut, so auf den Punkt, so klanglich abgeschmeckt hat man das Orchester der Komischen Oper lange nicht mehr gehört. Das war musikalische Sterneküche.
Da kann man nur hoffen, dass es sich bald herumspricht, welches Juwel die Komische Oper mit dieser neuen Produktion herausgebracht hat. Noch gibt es Karten …
Andreas Göbel, rbbKultur