Philharmonie Berlin - Vor dem Europakonzert: Die Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko
Das traditionelle Europakonzert der Berliner Philharmoniker, das in diesem Jahr in Barcelona stattfindet, wirft seine Schatten voraus. Bereits im Vorfeld hat Philharmoniker-Chefdirigent Kirill Petrenko jetzt einen Teil des Programms in der heimischen Philharmonie in Berlin auf das Programm gesetzt: die Motette "Exsultate, jubilate" und die "Krönungs-Messe" von Wolfgang Amadeus Mozart.
Mal kann es als Generalprobe sehen. Oder vielleicht noch nicht einmal das – es hatte so einiges von einem Abtasten und Beschnuppern. Gerade in Mozarts Sopran-Motette gab es im Orchester noch ein ziemliches Gemurmel, während Kirill Petrenko in der "Krönungs-Messe" auf Prachtentfaltung setzte. Alles ganz kontrolliert, aber da war noch Luft nach oben.
Halsbrecherische Koloraturen
Die britische Sopranistin Louise Alder hat Mozart-Erfahrung, und das hat man auch gehört. Die Motette "Exsultate, jubilate" ist ein halsbrecherisches Virtuosenstück, und damit hat sie nicht die geringsten Probleme. Das kann sie locker abschnurren lassen, ohnehin auswendig, da purzeln die Töne nur so aus ihr heraus.
Und doch hörte man die Vorsicht, es war zu intim für den Großen Saal der Philharmonie mit weit über zweitausend Plätzen. Nichts gegen kontrollierte Intimität – aber das kam nicht recht über die Rampe, da war sie noch am Abtasten und Ausprobieren.
Riesenchor auf hohem Niveau
Beim Europakonzert in Barcelona ist der dort beheimatete Chor Orfeó Català mit dabei, der größte Laienchor Kataloniens. Das ist nicht das erste Aufeinandertreffen – bereits vor zehn Jahren anlässlich einer Tournee hatte man zusammengearbeitet. Hier in Berlin in der Philharmonie konnte man dieses Riesenensemble bestaunen – bestimmt hundert Mitwirkende, das wird bei der Fernsehübertragung am 1. Mai seine Wirkung bestimmt nicht verfehlen.
Das Niveau des Chores ist beachtlich – hervorragend vorbereitet und auswendig, bei einer Mozart-Messe eher ungewöhnlich. Dazu eine Klarheit und Textverständlichkeit, das hatte Niveau und Qualität.
Und doch war es für Mozart viel zu groß besetzt, ein Drittel der Mitwirkenden hätte ausgereicht. So war es eine regelrechte Klangwand, die auf das Publikum zuraste und vor der man unwillkürlich den Kopf eingezogen hat. Das hätte eher zu Verdi gepasst. Beeindruckend, aber dann doch an Mozart vorbei.
Schumann im Fitness-Studio
Warum dann exklusiv für Berlin die Vierte von Robert Schumann? Das Stück ist problematisch in seiner meist gespielten zweiten Fassung. Da hat Schumann dick instrumentiert, es wirkt oft schwerfällig, man hört es selten gut.
Warum also dieses Werk? Sicher, weil Petrenko Lust darauf hatte. Er hat diese musikalische Speckschwarte ins Fitmess-Studio geschickt. Extreme Dynamik, fetzige Tempi, da mussten die Philharmoniker ihre Virtuosität ins Spiel bringen. Und sie hatten Spaß daran. Höhepunkt war das zu Herzen gehende Geigensolo vom Ersten Konzertmeister Noah Bendix-Balgley im langsamen Teil – eine absolute Sterneküche.
Vor allem Kirill Petrenko wirkte gelöst wie selten, allein äußerlich die linke Hand auf die Brüstung seines Dirigier-Podestes gelegt. Es funktionierte einfach, und wenn man böse wäre, würde man den Philharmonikern empfehlen, lieber das nach Barcelona mitzunehmen …
Andreas Göbel, rbbKultur