Philharmonie Berlin - Die Berliner Philharmoniker unter Mikko Franck
Ein solches rein finnisches Programm ist durchgehend erhellend – wenn man erlebt, wie die jüngeren Generationen immer versucht haben, sich vom Übervater Sibelius zu emanzipieren – und wie es ihnen bis heute immer noch nur partiell gelingt. Auch bei Rautavaara und Salonen findet man den Hang zu einer gewissen Schwergewichtigkeit oder zu einer kantigen Form der Statik.
Einojuhani Rautavaara hat sein "Requiem in Our Time" im Andenken an seine auf tragische Weise frühverstorbene Mutter komponiert. Vier kurze Sätze für Blechbläser und Schlagzeug - mal fanfarenartig, dann mit archaischer Wucht und markanten Motiven. Für ein Requiem fast zu festlich und harmonisch. Das Werk bleibt auch heute noch rätselhaft.
Riesengaudi mit Polizeipfeife
Seinem Stück "Karawane" hat Esa-Pekka Salonen das gleichnamige Gedicht des Dadaisten Hugo Ball zugrundgelegt. Das ist ein reines Lautgedicht, und der Komponist nimmt es als dankbare Vorlage für den Chor nach allen Regeln der Kunst auseinander. Da wird gesprochen, geflüstert, in Silben zerlegt, geschrien, sogar mal durch eine Polizeipfeife unterstützt, und dergleichen mehr. Schönste Kost für den wieder einmal grandiosen Rundfunkchor Berlin.
Aber eigentlich ist der Text nur Anregung, damit Salonens blühende Fantasie in Gang kommen konnte. Und das ist auch passiert – das gut halbstündige Werk lebt von seinen überraschenden Kontrasten. Mal liefert das Orchester Hintergrundmusik wie zu einer Filmuntermalung. Auf pastorale Stimmung folgt ein Pseudo-Impressionismus, schön süßlich und klebrig. Ritualisiertes Schlagzeug-Getrommel in entsetzlich lauten Ausbrüchen folgt auf ein ausdrucksüberzogenes Cellosolo. Immer ist irgendetwas los – das ist eine geschickt gemachte sinnfreie Riesengaudi, unglaublich oberflächlich, aber trotzdem einigermaßen unterhaltsam.
Wuchtige Grundpfeiler
Die fünfte Sinfonie von Jean Sibelius kennen die Berliner Philharmoniker noch aus der Zeit des Sibelius-Fan Simon Rattle. Und doch hatte es in dieser Aufführung trotz der gewohnten Brillanz noch nicht die Sicherheit, die man hier sonst gewohnt ist. Muss sich da noch etwas zurechtruckeln? Oder lag es am eigenwilligen Kopf von Mikko Franck?
Der nimmt alles so gestisch wie möglich, scheint mit markanten Bewegungen die Grundpfeiler dieser Sinfonie in den Boden rammen zu wollen. Das hat eine beeindruckende Archaik, man wird gezwungen, neu hinzuhören. Und doch wirkt es an manchen Stellen einigermaßen schwerfällig. Erst bei den großen Steigerungen erzählt die Musik eine Wucht, als wenn das Nilpferd jetzt zum Marathonlauf aufgebrochen ist. Immerhin eine originelle Deutung.
Andreas Göbel, rbbKultur