Joanna Mallwitz u. das Konzerthausorchester Berlin, 15.09.23 © Pablo Castagnola
Pablo Castagnola
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Konzerthaus Berlin - Joana Mallwitz dirigiert das Konzerthausorchester Berlin

Bewertung:

Der Antritt ist geschafft – Joana Mallwitz ist Chefdirigentin des Konzerthausorchesters Berlin. Jetzt beginnt der "Alltag" in der Zusammenarbeit mit dem Orchester. Und mit einem Werk von Kip Winger hat sie einen eigenwilligen Akzent gesetzt.

Kip Winger ist zunächst mit Hard Rock an die Öffentlichkeit getreten, hat sich dann mit Tanz und klassischer neuer Musik beschäftigt. Seine "Conversations with Nijinsky" setzen sich mit Vaslav Nijinski auseinander, dem genialen Choreografen der Skandal-Uraufführung des "Sacre" von Igor Strawinsky.

Nijinski erlitt ein tragisches Schicksal – mit noch nicht einmal 30 Jahren erkrankte er an Schizophrenie, musste seine künstlerische Laufbahn aufgeben und verbrachte die langen Jahre bis zu seinem Tod vorwiegend in Nervenheilanstalten. Seinem Gedenken hat Winger dieses Werk gewidmet.

Musik zum Fremdschämen

Wie klingt das jetzt? Die Musik der Strawinsky-Ballette, jedenfalls in Anklängen, scheint mit Hollywood-Kitsch gemixt. Das plätschert nett vor sich hin, mal wie Kaufhaus-Klassik, dann, in einem uninspirierten Walzer, wie eine wenig geglückte Parodie auf Prokofjew-Ballette. Der langsame Satz könnte eine willkommene Untermalung für Sonnenaufgänge in Naturfilmen sein. Und so weiter.

Natürlich: Man kann Kitsch komponieren, aber dann muss man es auch können. Diese vier Sätze sind erbärmlich schlecht instrumentiert. Und man muss Joana Mallwitz fragen, warum sie diese dilettantische Partitur auf das Programm gesetzt hat. Mag sein, dass man das in Erfurt oder Nürnberg anbieten kann – hier in Berlin hat diese unterkomplexe Musik nichts verloren. Das war wirklich zum Fremdschämen.

Die Orchesterfrage

Igor Strawinskys "Le sacre du printemps" – das ist ein Brocken von gigantischer, geradezu archaischer Wucht. Joana Mallwitz hat das geradezu vorgearbeitet – ihre Ansätze sind klar: Deutlichkeit, Kontrolle, klare Akzente – da ist nichts dem Zufall überlassen.

Man hat die Anstrengung im Konzerthausorchester gehört, dieses Ergebnis zu erzielen. Die Zeit unter ihrem Vorgänger Christoph Eschenbach hat der Orchesterkultur hörbar geschadet. Die Präzision, die Joana Mallwitz verlangt, kann das Orchester nur unter Aufbietung größter Mühe aufbringen.

Das Stück wird abgearbeitet, Moment für Moment, es tritt auf der Stelle, hat etwas unglaublich Schwerfälliges, Mühsames. Mehr geht derzeit hörbar leider nicht.

Joanna Mallwitz u. das Konzerthausorchester Berlin mit Yulianna Avdeeva (Klavier) , 15.09.23 © Pablo Castagnola
Bild: Pablo Castagnola

Nett und freundlich

Yulianna Avdeeva, Chopin-Preisträgerin vor einigen Jahren, war mit dem ersten Klavierkonzert des polnisch-französischen Komponisten zu hören. Zunächst hörte man hin: Sie versucht, Geschichten zu erzählen, selbst die virtuosesten Stellen bekommen etwas Bedeutendes, Verträumtes, Gewichtiges. Nur bleibt es in solchen Details stecken. Es hangelt sich von Moment zu Moment, irgendwann hat man den Überblick verloren, und es klingt unpersönlich nett und freundlich.

Als Gewinnerin des Chopin-Wettbewerbs hatte Yulianna Avdeeva ein großes Versprechen abgegeben, aber es scheint, als ob sie in ihrer Entwicklung stehengeblieben wäre. Das klingt alles wirklich angenehm, aber ein individueller Personalstil will sich nicht vermitteln.

Brocken an Arbeit

Das Orchester spielt in Chopins Klavierkonzerten nur eine marginale Rolle. Und doch wurde hier klar, was dem Konzerthausorchester derzeit fehlt. Sicher wird Joana Mallwitz eher die anderen beiden Stücke geprobt haben, aber notfalls begleitet ein Orchester diesen Chopin halt von selbst.

Aber wenn man hört, wie es pauschal und eindimensional matt klang, die Orchesterbalance nicht stimmte, die Hornstimmen fast immer zu laut waren, dann liegt hier einiges im Argen. Joana Mallwitz wird Monate, vielleicht sogar länger brauchen, um das Konzerthausorchester an die Spitze (zurück-) zu führen. Und um diesen Brocken an Arbeit mag man sie wirklich nicht beneiden.

Andreas Göbel, rbbKultur

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