Vladimir Jurowski © Peter Meisel
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Saisonauftakt beim Musikfest Berlin in der Philharmonie - Das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter Vladimir Jurowski

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Diese Saison ist für das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin eine besondere: Man feiert sein hundertjähriges Bestehen und ist damit eines der ältesten Rundfunkorchester überhaupt. Entsprechend war man beim Saisonauftakt in Feierlaune.

Da darf am Beginn gleich mal Musik aus dem Gründungsjahrzehnt vorkommen: Kurt Weills "Kleine Dreigroschenmusik", also eine Kompaktversion der Hits aus der "Dreigroschenoper". Die kleine Band sitzt vorne an der Bühne zusammengedrängt – ein köstliches Bild, der Komponist wäre begeistert gewesen.

Das war komplett unsentimental, hatte die nötigen Ecken und Kanten, und vom Zuhören hat man schon so manchen blauen Fleck bekommen. Wie gut! Wie oft hat man diese Nummern verkitscht gehört – hier war es das genaue Gegenteil, wunderbares Understatement, auf den Punkt genau: großartig!

Unverschämtes Musikkabarett

Die britische Musikavantgarde zeichnet sich dadurch aus, dass sie keine ist. Das ist in der Regel relativ gefällig und massenkompatibel. So auch hier in diesem Klavierkonzert von Thomas Adès, da ist eigentlich gar nichts neu. Bartók und Ligeti stehen Pate, eines der Hauptthemen klingt nach Gershwins "I got rhythm", und der letzte Satz beginnt so in etwa wie der aus dem Ravel-Klavierkonzert.

Aber man muss schon die Unverschämtheit besitzen, die halbe Musikgeschichte der Moderne zusammenzuquirlen. Als neue Musik kann man das nicht ernst nehmen, vielleicht eher als Musikkabarett. Trotzdem: das ist geschickt gemacht, da fühlt man sich großartig unterhalten. Wann hat man schon mal das Gefühl, in einem Konzert gute 20 Minuten gegen seine Lachtränen ankämpfen zu müssen?!

Die Finger von Kirill Gerstein

Thomas Adès hat dieses Konzert Kirill Gerstein in die Finger komponiert. Gerstein ist ein absoluter Virtuose, das hat man zuletzt beim Waldbühnenkonzert der Berliner Philharmoniker im vergangenen Jahr hören dürfen, als er für Daniil Trifonov in Rachmaninows zweitem Klavierkonzert eingesprungen ist.

Gerstein donnert den Flügel rauf und runter, hat ein paar kitschig-gefühlige Momente und grummelt mit den Bässen um die Wette. Aber er kann natürlich mehr als diesen Klavierzirkus. Als Zugabe spielt er ein frühes Lied von Rachmaninow in einer eigenen Klavierbearbeitung. Und das hat echte Poesie, melodische Stärke, das ist ein Schaumbad für die Seele.

Rachmaninow in Spitzenqualität

Die dritte Sinfonie von Sergej Rachmaninow hört man relativ selten. Es ist nicht das klischeehaft Süßliche, das dieses Werk auszeichnet, sondern im Gegenteil: spröde und verschachtelt. In dieser Aufführung meinte man, das Werk zum ersten Mal wirklich verstanden zu haben: welche Klarheit in der Struktur, die Themen herausgemeißelt, welche Süffigkeit in der Melodiegestaltung.

Im einhundertsten Jahr seines Bestehens präsentiert sich das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin unter seinem Chefdirigenten Vladimir Jurowski in traumhafter Verfassung. Das hat Klangqualität und Orchesterkultur, die schwierigsten Stellen gelingen mühelos. Wucht und Aggressivität, wo es hingehört, aber Schwelgerisches in Form einer Sahnetrüffelpraline können sie auch. Vladimir Jurowski hat endgültig einen Klangkörper der Spitzenklasse geformt.

Kalorienbombe zum Dessert

Ungewöhnlich für ein heimisches Orchester: die Zugabe. Aber man hatte noch etwas vom Londoner Gastspiel übrig. Und das war Rachmaninows bekanntestes Stück: das Prélude für Klavier in cis-Moll – in der Orchesterfassung des „Proms“-Gründers Sir Henry Wood.

Nun ist schon die Klavierfassung emotional aufgedonnert, die Orchesterversion ist noch krachiger. Eine absolute Kalorienbombe, die Jurowski und sein RSB zum Dessert aufgetischt haben. Aber auch hier: welche Klangsinnlichkeit. Da hat man sich mit Genuss überfressen.

Andreas Göbel, rbbKultur

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