Stegreif © Bernd Schölzchen
Bernd Schölzchen
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Musikfest Berlin – Abschlusskonzert - Stegreif – The Improvising Symphony Orchestra

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Mit einem ungewöhnlichen Projekt ist das Musikfest Berlin in diesem Jahr zu Ende gegangen – das Ensemble "Stegreif – The Improvising Symphony Orchestra" war im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie zu Gast.

Das ist in der Tat ein sehr ungewöhnliches Ensemble. Man spielt ohne Noten, undirigiert, bewegt sich auch im Raum. Allerdings bedeutet das nicht, dass man sich einfach so hinstellen und spontan irgendwas machen würde. Das Improvisatorische findet mehr in der Vorbereitung statt, im Entwickeln.

Das, was man dann am Abend zu sehen und hören bekommt, ist eine ziemlich klare und strenge Abfolge, das Zusammenspiel wirkt sehr geprobt und durchchoreografiert.

Musik und Nachhaltigkeit

"symphony of change" heißt das jüngste Projekt von Stegreif. Der Titel liegt zunächst nahe – das Verändern klassischer Werke, dafür steht das Ensemble, das Spiel mit Vorlagen, die Suche nach neuen Aspekten. Allerdings ist auch ein Großprojekt dem Zusammenhang von Musik und Nachhaltigkeit gewidmet. Fragen wie: Wie verändert sich unsere Umwelt und wie müssen wir uns verändern, damit die Erde für die Menschheit bewohnbar bleibt?

Biodiversitätsverlust und Ressourcenknappheit

Der Klimaaspekt zieht sich wie ein Roter Faden durch den Abend. Über Lautsprecher hört man immer wieder eine Kinderstimme, die Fragen stellt: "Was für eine Zukunft erwartet mich?" Stichwörter fallen wie "Hitzewellen", und das Kind versucht, Wörter auszusprechen wie "Biodiversitätsverlust" oder "Ressourcenknappheit".

Und es formuliert den Wunsch, dass die Welt für das Kind und seine Lieblingspflanze eine Zukunft hat. Diese Pflanze sehen wir dann auch zentral auf der Bühne.

Musikalisch grandios

Das alles hat mit dem, was musikalisch stattfindet, allerdings nicht das Geringste zu tun, bleibt Behauptung und unbeglaubigt. Das Orchester macht das, womit es von Beginn an angetreten ist und was es auch auszeichnet – sie nehmen Vorlagen, etwa von Hildegard von Bingen oder Wilhelmine von Bayreuth, und nähern sich den Stücken an.

Zentrales Werk ist die im Original gut halbstündige 7. Sinfonie in f-Moll der Romantikerin Emilie Mayer aus dem Jahr 1856. Da hat der Abend seine stärksten Momente, man hört das Werk zunächst etwa drei Minuten im Original – übrigens hervorragend gespielt, man hört, welche hervorragende Musikerinnen und Musiker hier versammelt sind.

Dann entwickelt es sich vom Original weg zu kleinen Einlagen, Soli, zu einer Art Jazz-Improvisationen, auch mal rockig mit kräftigem Schlagzeugeinsatz oder lateinamerikanisch, und immer wieder kehrt es zum Ausgang zurück, das ist packend und stringent. Dazu sind alle in immer wieder neuen Formationen auf der Bühne zu sehen, sehr gut choreographiert. Das ist mitreißend, während der Klimaaspekt eher gewollt und draufgesetzt wirkt.

Festival mit Stärken und Schwächen

Auch dieser Jahrgang vom Musikfest Berlin hatte seine Stärken und Schwächen. Einen Höhepunkt gab es gleich zu Beginn mit dem Concertgebouw-Orchester aus Amsterdam. Über Iván Fischers Interpretation der 7. Sinfonie von Mahler kann man streiten, die Qualität des Orchesters war dagegen umwerfend gut. Fast ebenbürtig Mirga Gražinytė-Tyla in Mahlers Zweiter mit den Münchner Philharmonikern, fast neunzig Minuten in großem Sog und voller Klangpracht.

Misslungen dagegen war das Gastspiel des Boston Symphony Orchestra unter Andris Nelsons – ein Tourneeprogramm lustlos und routiniert abgeschnurrt. Der Tiefpunkt war jedoch Alexander Melnikov, der nach einem durchaus hörenswerten Kammermusikprogramm zum 150. Geburtstag von Sergej Rachmaninow zwei Abende später einen Soloklavierabend mit Rachmaninow spielte, dessen Musik wie desinteressiert in die Tasten gedroschen klang. Das hatte den Eindruck von Arbeitsverweigerung.

Als Orchesterfestival unverzichtbar

Das Musikfest Berlin ist als Orchesterfestival nach wie vor unverzichtbar. Durch die vielen hervorragenden Berliner Orchester sind wir in der Stadt sehr verwöhnt, und es gibt recht wenige Gastspiele. Dabei sind diese wichtiger denn je, nicht nur wegen so bewegender Momente wie dem Abschied von Simon Rattle beim London Symphony Orchestra.

Vor allem lohnt sich ein Qualitätsvergleich, um nicht nur im eigenen Saft zu schmoren. Um noch einmal auf das Concertgebouw-Orchester zurückzukommen: So wie die diesmal gespielt haben, müssen sich sogar die Berliner Philharmoniker warm anziehen. Mehr davon!

Andreas Göbel, rbbKultur

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