Pygmalion | Raphaël Pichon - Claudio Monteverdi: Vespro della beata vergine
Eine Kritik von Bernhard Schrammek
Raphaël Pichon hat nach Bachs "Matthäus-Passion" (2022) mit seinem Ensemble Pygmalion ein weiteres kirchenmusikalisches Monument aufgenommen: die Marienvesper von Claudio Monteverdi. Keine Frage: Rein musikalisch ist das eine Spitzen-Aufnahme mit hervorragenden Vokal- und Instrumentalsolisten und einem brillanten Chor. Das Zusammenspiel ist in allen Tempi perfekt, der Sound mannigfaltig und farbig und selbst in irrwitziger Geschwindigkeit klingen die Koloraturen sauber und durchsichtig.
Die dramaturgische Gestaltung jedoch des Werkes wirft Zweifel auf: Raphaël Pichon "theatralisiert" die gesamte Vespermusik mit extremen Tempo- und Lautstärkeschwankungen. Schnelle Passagen werden hochvirtuos dargeboten, (vermeintlich) langsame bis ins Unendliche gedehnt (besonders die abschließenden "Amen"-Gesänge der Psalmen). Von Proportionen zwischen den einzelnen Teilen ist nichts zu spüren, stattdessen fühlt man sich an Chorromantik des 19. Jahrhunderts erinnert.
So viele zusätzliche Effekte hat Monteverdis Musik nicht nötig.
Bernhard Schrammek, rbbKultur