Deutsches Theater: Auslöschung. Ein Zerfall © Monika Rittershaus
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Deutsches Theater - "Auslöschung. Ein Zerfall" nach Thomas Bernhard

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Der Österreicher Thomas Bernhard hat bekanntlich viele Theaterstücke geschrieben. Auf die Bühne des Deutschen Theaters hat die Regisseurin Karin Henkel jetzt aber seinen letzten Roman gebracht: "Auslöschung. Ein Zerfall" heißt das Mammut-Werk mit 650 Seiten, das Bernhard 1986 geschrieben hat, drei Jahre vor seinem Tod.

Er gilt als Bernhards Vermächtnis, ist eine letzte Abrechnung mit seiner Heimat Österreich und dem unterdrückten Nationalsozialismus in der Nachkriegsgesellschaft. Nicht unbedingt ein Roman, der auf die Bühne drängt – schließlich ist es ein einziger innerer Monolog von Fritz Murau, der aufs elterliche Anwesen zurückkehren muss, weil Eltern und Bruder bei einem Autounfall ums Leben gekommen sind.

Situationskomik zu Beginn des Abends

Ob Karin Henkel Bernhards bitterbösen Sprachwitz auf die Bühne zu bringen weiß? Es geht jedenfalls gut los an diesem Abend. Noch während die Ansage zu hören ist, dass man nun die Mobiltelefone auszuschalten hat, tritt Daniel Zillmann auf die Bühne und ergänzt ein Fotografierverbot. Nicht wegen der Urheberrechte, sondern weil Fotos den weltweiten Verdummungsprozess in Gang gesetzt hätten, der weit fortgeschritten sei – so schreibt es Thomas Bernhard: "Die Fotografie ist eine heimtückische, perverse Fälschung. Eine absolute Verletzung der Menschenwürde, eine ungeheuerliche Naturverfälschung. Eine gemeine Unmenschlichkeit."

Und während der stattliche Zillmann noch vor sich hin wettert, wird er von vier Herren unterbrochen, die durch die Saaltüren hereinpoltern, als seien sie verspätete Zuschauer. Nur: Sie schleppen einen Sarg auf die Bühne. Und dann noch einen. Wie sie ihn seitwärts drehen müssen, um ihn durch die winzige Tür im Eisernen Vorhang zu schieben, das hat eine Situationskomik, die der Abend ansonsten schwer missen lässt.

Deutsches Theater: Auslöschung. Ein Zerfall © Monika Rittershaus
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Hinein in den Wald der Kindheit

Erst nach diesem heiter-hintersinnigen Auftakt, wenn Franz in die Heimat muss, zum Begräbnis der plötzlich verunfallten Eltern (bei Bernhard auch des Bruders, der hier gestrichen ist), legt die Bühne eine nebelumfangene Landschaft frei. Wie in einem bösen Märchen steht ein gigantischer weißer Vollmond über einem schwarzen Wald aus kahlen Bäumen.

Franzens Schwestern trippeln herein, Schreckschrauben mit blonden Perücken und pinken Dirndln. Er sieht sie als Albtraum seiner Kindheit vor sich. Franz geht, so schreibt es Bernhard, "in den Wald der Kindheit hinein", um all das auszulöschen, was ihn an die österreichische Heimat bindet.

Er hasst nicht nur das dumpf Provinzielle seiner Schwestern, die Boshaftigkeit seiner Mutter und die Verachtung alles Intellektuellen seines Vaters – auslöschen will er auch den verlogenen Katholizismus und die versteckte Liebe zum Nationalsozialismus der ganzen Gegend.

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Die Welt auslöschen

Wie Zombies erstehen Almut Zilcher und Manfred Zapatka als diese Eltern von den Toten auf und schwingen antisemitische Reden, die anderen Bernhard-Texten entnommen sind: "Alles haben wir für das Vaterland getan. Und jetzt bereichern sich die jüdischen Geschäftemacher. Sie sind schon wieder im Vormarsch."

Vier Schauspieler:innen geben den Sohn Franz in verschiedenen Jahrzehnten, vom Kind über den bettnässenden Teenager bis zum mittelalten Mann, der er in der Gegenwart bei Bernd Moss ist. Ein nervöser, die Bernhardsche Übertreibungskunst beherzigender Mann, der in seiner letzten Hasstirade die ganze Menschheit auslöschen will: "Denkst du an die Deinigen wird dir übel, denkst du an die Übrigen wird dir genauso übel. Auslöschen, alle auslöschen. Ein paar Hundert reichen nicht, ein paar Millionen müssen es sein. Millionen Verlogene auslöschen. Millionen Widerwärtige. Auslöschen! Auslöschen!"

Das Gefühl für die irrwitzige Sprache Bernhards geht Regisseurin Henkel völlig ab

Es liegt in der Natur der Sache, dass die Regisseurin Karin Henkel und ihre Dramaturgin Rita Thiele die meisten der 650 Romanseiten streichen mussten. Ihre Fassung, die auch andere Bernhard-Texte verwebt, konzentriert sich auf den schwelenden Nationalsozialismus, der den Krieg bestens überlebt hat – das zeigen die uralten Nobel-Nazis, die zur Beerdigung der Eltern im Aufzug aus dem Bühnenboden herauffahren. Geradezu hellsichtig warnt Bernhard vor der Salonfähigkeit des Antisemitismus, wie wir ihn heute in Europa erleben.

Was Karin Henkel dann allerdings doch völlig abgeht, ist ein Gefühl für die irrwitzige Sprache Bernhards. Dessen "Auslöschung" ist ein durchrhythmisiertes Stück Literatur, das einzelne Worte wie im Loop 15 und 20 Mal wiederholt und bis zur Klimax steigert. Das sich an Vokabeln festbeißt wie ein Terrier. Das pulsiert, aufwogt, abebbt. Und dabei eine Ironie und einen bitteren Sprachwitz verätzt, wie man das nur von Österreichern kennt.

Großartig, wenn das Theater endlich wieder Thomas Bernhard und dessen Gesellschaftskritik entdeckt. Noch schöner wäre eine Regisseurin, die auch für Bernhards Sprachmusik sensibel wäre, statt alles bleischwer in ein und demselben Ton zu inszenieren.

Barbara Behrendt, rbbKultur

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