Haus der Berliner Festspiele - Tanz im August: Marrugeku - "Jurrungu Ngan-ga | Straight Talk"
Mit radikal politischem Tanztheater wurde gestern Abend im Haus der Berliner Festspiele der "Tanz im August", das Internationale Tanzfest Berlin eröffnet. Als Deutschlandpremiere hat die australische Company Marrugeku ihr Stück "Jurrungu Ngan-ga | Straight Talk" - also "Klare Ansage"- gezeigt.
Dieses Stück ist auch eine klare Ansage, mit Botschaften, die deutlicher nicht sein könnten. Die sehr harte Politik der australischen Regierung gegenüber Geflüchteten und Asylsuchenden, der Rassismus in der australischen Gesellschaft gegenüber indigenen Menschen und der Kolonialismus als Gründungsursprung des Landes, der bis heute nachwirkt – das sind die Themen dieses Stückes. Die Tänzerinnen und Tänzer von Marrugeku setzen sie in drastischen Darstellungen von Leid und Schmerz, Wut und Widerstand und Aufruf zum Protest um.

Die Company Marrugeku
Marrugeku ist eine Tanztheater-Gruppe aus Sydney und Broome in Westaustralien, mit vielen indigen Tänzerinnen und Tänzern. Die beiden Leiterinnen, die Choreografin Dalisa Pigram und die Regisseurin Rachael Swain berufen sich auf Kultur und Tradition der Yawuru, des indigenen Volkes in Westaustralien und auf interkulturelle und politische Arbeit, vor allem gegen stereotype Vorurteile und Rassismus gegenüber Indigenen.
Die Gefängnis-Insel Manus
"Straight Talk" spielt vor einer sehr hohen L-förmigen Wand aus silbern glänzenden transparenten Wänden. Diese werden je nach Lichteinfall zu Gefängniszellen, der Raum davor zum Gefängnishof samt Videoüberwachung. Die Tänzer:innen sprechen dann in die Kamera, die silberne Wand wird zur Leinwand. Angelehnt ist dieses Bühnensetting an die Gefängnisse auf der Pazifik-Insel Manus. Dort hat die australische Regierung Asylsuchende oft jahrelang unter Bedingungen eingesperrt, die von Flüchtlingshilfsorganisationen als menschenunwürdig und menschenrechtswidrig beschrieben wurden.
Auch das stellen die Tänzer:innen in überdeutlicher Körpersprache dar. Sie sind hilflose, verzweifelte, verprügelte, auch sterbende Gefangene – eine Darstellung ohne Distanzierung, schonungslos direkt.
Augenzeugenbericht
Eine Grundlage des Stückes ist das Buch des kurdischstämmigen Journalisten und Autors Behrouz Boochani. Er war sechs Jahre lang auf Manus eingesperrt. Sein Buch "Kein Freund außer den Bergen. Texte aus dem Gefängnis Manus" hat den wichtigsten australischen Literaturpreis gewonnen, ist 2020 auch in deutscher Sprache erschienen. Die Lebensumstände in den Internierungslagern für Asylsuchende auf Manus müssen grausam gewesen sein.
Internierungslager, Rassismus, Polizeigewalt
Folgt man nun der Interpretation von Marrugeku, dann haben die Internierungslager auf Manus und der Rassismus gegenüber Indigenen in Australien einen gemeinsamen Ursprung: die Angst und den Hass der Weißen. In einer Szene sagt eine Performerin: "Ich glaube, dass alle Weißen Rassisten sind."
Später werden in einer langen Aufzählung viele, viele Namen von indigenen Menschen aufgezählt, die durch Polizeigewalt ums Leben gekommen sind oder Suizid begangen haben.
Grenze zum politischen Aktivismus
Spätestens an dieser Stelle rückt diese Inszenierung nah an die Grenze zum politischen Aktivismus, ohne sie jedoch zu überschreiten - das Stück bleibt erzählerisches Tanztheater. Die Legitimation für die ungefilterte Darstellung von Leid, von Opfern von Hass und Gewalt bezieht Marrugeku aus der Tatsache, dass alle Tänzer:innen selbst Indigene sind, Diskriminierung und Rassismus erlebt haben.

Widerstand und Protest
Es ist dann eine transidente Performerin, die aus Leid und Wut hinausführt, die zu Widerstand und Protest und Kampf um Selbstbestimmung aufruft. Aus der Erzählung ihrer eigenen Leiderfahrungen entwickelt sie einen scharfen Sarkasmus mit traurig-beißender Komik und führt dann die anderen Tänzer:innen in eine wilde Party-Kampftanz-Szene. Lebensfreude und Solidarität sind die Mittel zu Widerstand und Veränderung – so die Botschaft von Marrugeku.
Kompromissloses politisches Tanztheater
Dieses Stück ist kompromissloses politisches Tanztheater, erbarmungslos in der Darstellung von Leid und Wut, in der Wahl der künstlerischen Mittel rigoros demonstrativ, der Härte der Themen angepasst. Der Tanz ist überwiegend körpersprachlich, die Körper werden präsentiert als von Zwängen gebeutelt, von Leiderfahrung und Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung zerrissen.
Das Eindeutige und Ungefilterte an diesem Stück, das nicht durch die Suche nach künstlerischer Feinheit und Ästhetik. Abgemilderte der gnadenlos harten Botschaften dürfte es gewesen sein, was Virve Sutinen veranlasst hat, Marrugeku einzuladen. Ein eindrucksvoller ungewöhnlicher Auftakt für den "Tanz im August".
Frank Schmid, rbbKultur