Deutsches Theater: Der Sturm © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
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Deutsches Theater - "Der Sturm"

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Das Deutsche Theater hat seine erste Premiere der Saison gefeiert – mit einem uralten klassischen Zauberstück: Shakespeares "Der Sturm". Noch immer streiten sich Theater- und Literaturwissenschaftler darüber, wie Shakespeares wundersames Spätwerk mit dem Zauberer Prospero, dem Luftgeist Ariel und dem Hexensohn Caliban interpretiert werden kann. Am Deutschen Theater kommt Jan Bosses Inszenierung (in Kooperation mit den Bregenzer Festspielen) im Gewand einer neuen Übersetzung daher, die Herzstück und Fundament des Abends ist.

Jakob Nolte hat nämlich das Shakespeare-Englisch aus dem 17. Jahrhundert Wort wörtlich übersetzt, inklusive britischer Syntax. "Do you love me?" wird zu "Tust du lieben mich?". Und das berühmte Zitat "Wir sind vom Stoff aus dem die Träume sind" wird zu: "Wir sind solches Zeug als Träume sind gemacht von". Zunächst wirkt das albern, wenig zielführend und schwer verständlich. Hat man sich eingehört, entsteht aus dieser Nähe zum Original, dessen schwierige Sprache uns ja über die Jahrhunderte ebenfalls fremd geworden ist, allerdings eine Kunstsprache, eine Geheim- oder Zaubersprache, die bestens zum magischen Inhalt des Stücks passt.

Deutsches Theater: Der Sturm © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
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Wunderbare Eingangsszene

Zu Beginn ist die Bühne leer. Wolfram Koch kommt als Prospero in Unterhosen herein, seinen verstaubten und zerschlissenen Anzug muss er erst noch anziehen. Als dieser ramponierte Prospero seinen Zauber starten möchte und mit den Fingern schnipst, um das Licht im Saal auszuknipsen, passiert: gar nichts. Nur der Luftgeist Ariel, hier Lorena Handschin im Glitzerkleid, beherrscht den Lichtzauber.

Eine wunderbare Eingangsszene, die zeigt, dass es mit diesem angeblichen Zauberer nicht so weit her ist. Und die verdeutlicht: Prosperos magische Insel, das ist das Theater selbst, mit all seinen Traum-Stoffen, seinen Tricks und Spielereien.

Mit der heutigen postkolonialen Interpretation hat Bosses "Sturm" nichts am Hut

Auf Prosperos Kommando bricht aus dem Schnürboden eine Lawine von Schiffstauen herunter. Wie ein Wald aus Seilen hängen sie den Abend über von der Decke herab. Das soll natürlich Assoziation zum Sturm und zum Schiffbruch wecken, mit dem Prosperos intriganter Bruder auf die Insel geweht wird. Mit den Lianen kann man aber auch herrlich spielen: Sie werden zu Schaukeln gebunden oder als Marterpfahl verknotet – oder man hängt schlicht in den Seilen.

Deutsches Theater: Der Sturm © Bregenzer Festspiele / Karl Forster
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Die Handlung des Stücks ist verworren. Prospero, früher Herzog von Mailand, ist von seinem Bruder, dem König von Neapel, vor zwölf Jahren gestürzt und auf hoher See ausgesetzt worden. Um sich an ihm zu rächen, lässt er seinen Bruder mit Zauberkünsten schiffbrüchig werden. Zudem verlieben sich der Königssohn Ferdinand und Miranda, Prosperos Tochter. Darüber hinaus: Intrigen der Matrosen und Freiheitskämpfe von Caliban und Ariel.

Man spricht beim "Sturm" auch vom Gegenstück zum "Sommernachtstraum": die einzigen beiden Shakespeare-Stücke, die magisch aufgeladen sind. Während der "Sommernachtstraum" von Liebe handelt, geht es im "Sturm" mehr um Macht, Verrat, Tyrannei.

Heute wird das Stück oft postkolonial interpretiert: Das Halb-Monster Caliban entspricht dann einem versklavten Ureinwohner, Prospero dem Kolonialisten. Damit hat Jan Bosse allerdings nichts am Hut, für ihn sind Ariel und Caliban Fabelwesen, keine Menschen.

Eine heitere, verspielte Inszenierung

Das äußere Handlungsgerüst tut in Jan Bosses heiterer, verspielter Inszenierung ohnehin wenig zur Sache. Bosse gibt dem Affen Zucker mit allerlei Slapstick-Szenen und Geblödel. Gute Schauspieler wie Jeremy Mockridge und Linn Reusse können das zum Glück tragen. Nur Wolfram Koch gibt dem Abend einen dunkleren Ton. Ohne seinen Prospero bestünde der Abend aus viel zu viel oberflächlichem Tand. Doch der abgehalfterte, zottelige Zauberer, dem die Tricks nicht mehr gelingen wollen, bringt eine Melancholie und Bitterkeit auf die Bühne, eine Altersweisheit und Ironie, die zum emotionalen Kern der Inszenierung wird.

Kraft und Tiefe - trotz einiger Leerstellen

Obwohl der Abend sehr auf Spielfreude, auf Theaterzauber setzt, was man wahrlich nicht alle Tage am Theater sieht, gibt es bei über zwei Stunden doch einige Leerstellen und zu glatt polierte Szenen. Doch wenn sich am Ende der alte Prospero über die Hintertür aus seiner Theater-Welt davonmacht und das Ensemble mit der Musikerin Carolina Bigge einen Song nach Shakespeare anstimmt, den Lorena Handschin schon den ganzen Abend über großartig performt, nämlich: "Die Hölle ist leer und all die Teufel sind hier", dann bekommt die Inszenierung, auch ohne vordergründige postkoloniale Aktualisierung, doch noch eine eigene Kraft und Tiefe.

Barbara Behrendt, rbbKultur

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