Heimathafen Neukölln - "Die Klima-Monologe"
Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Klimakrise gerade von anderen, drängenderen Themen verdrängt wird: der Krieg in der Ukraine, der Inflation und jetzt auch noch durch die umstrittene WM in Katar. Aber nicht im Heimathafen Neukölln! Gestern wurden dort die "Klima-Monologe" uraufgeführt. Ein weiterer Dokumentar-Theaterabend von Michael Ruf, der sich nach den Themen Asyl, NSU und Flucht übers Meer nun dem Klima widmet.
"Die Bäume vertrockneten, Pflanzen konnten nicht mehr reifen, der Boden wurde staubig. Wir verstanden: Dieses Mal wird es anders. – Ich hatte befürchtet, dass auch unser Dorf von einem Ausbruch des Gletschers betroffen sein würde. Wenn der Gletscher ausbricht, dann stürzt das Gletscherwasser, dann stürzt das Gletscherwasser auf das Dorf mit den Felsbrocken. – Alles stand in Flammen. Es wäre völlig schwarz gewesen, hätten nicht alle Häuser und die Bäume gebrannt. Ich bekam richtige Angst."
Berichten, bevor es zu spät ist
Gleich zu Beginn des Stückes werden die großen krisenhaften Auswirkungen der Klimakatastrophe wie Highlights aneinandergereiht und bauen sich vor den Zuschauer:innen wie eine Wand auf, so massiv und erschreckend sind sie. Im Laufe des Abends weitet sich die Erzählung dann aus und zeigt das Leben der Protagonisten, wie es einmal war.
Früher konnte man auf den Wiesen nahe dem Meer in Bangladesch Reis anbauen und damit eine Familie ernähren. Eine junge Frau in Kenia war stolz, dass sie bei ihrer Hochzeit 130 Ziegen besaß. Der große Gletscher im Norden Pakistans bestimmte das Leben der Menschen im Dorf. Und dann hat der Klimawandel alles verändert.
Gespannt lässt man sich mitnehmen in die verschiedenen, lebendig und detailreich geschilderten Welten, Stück für Stück wird man hineingezogen in diese eindringliche und trotz allem poetische Erzählung. Viele Katastrophen ereignen sich Ländern, die aus westeuropäischer Perspektive weit weg sind. Michael Ruf möchte davon berichten, bevor es zu spät ist:
"Es geht ja gerade drum, diese langwierigen Prozesse, die dennoch sehr drastisch sind, zu erzählen. Und deswegen habe ich Interviews geführt mit Menschen, die jetzt schon betroffen sind, diese Menschen kommen heute zu Wort."
Die Klimakatastrophe bekommt ein Gesicht
Das Material für die "Klima-Monologe" besteht aus stunden- und tagelangen Interviews mit betroffenen Menschen aus den verschiedenen Ländern. Michael Ruf, Dokumentartheatermacher, führte die Gespräche, fasste sie zusammen und fand die Geschichten darin. Er musste natürlich kürzen, aber er lässt jedem der vier Protagonist:innen die eigene Ausdrucksweise. Die Klimakatastrophe bekommt so ein Gesicht.
"Das Wasser kam aus Richtung des Meeres. Ich dachte: Wir können unser Leben nicht retten. Das Wasser stieg an, es war schlammig und dreckig. Ich nahm eine Kiste mit Dokumenten, meine Kinder wurden nass, ich gab ihnen eine Decke. Das Dach und die Wände meines Hauses schwammen davon. Ich sah viele Leichen treiben. Ich musste sie mit einem Stock wegstoßen. Meine Mutter kann nicht schwimmen!"
Bilder, die zum Handeln auffordern
Die "Klima-Monologe" würden auch als Hörspiel funktionieren. Die Schauspieler:innen stehen am Rand der Bühne und sprechen ins Mikrofon. Aber die Bilder entstehen im Kopf und wirken stärker als jedes Foto: Menschen, die vor Waldbränden fliehen in Autos, die so heiß sind, dass die Scheiben zerspringen. Tiere, die tot und verhungert auf der rissigen Erde liegen. Es wird einem nichts erspart, auch nicht die Vorstellung von kleinen Kindern auf Booten, die kentern, während die Kinder versuchen, sich an den Kleidern der Mütter festzuhalten.
Die Informationen, die die Klimamonologe liefern, sind nicht neu. Aber das Konzept geht auf: Mit Hilfe der Geschichten kommt man den Schicksalen der Menschen ganz nah. Man kann nicht wegschauen. Die Bilder setzen sich in Kopf und Herzen fest und fordern zum Handeln auf.
Regine Bruckmann, rbbKultur