Staatstheater Cottbus: Der Nussknacker © Yan Revazov
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Staatstheater Cottbus - "Der Nussknacker"

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Staatstheater Cottbus: Der Nussknacker © Yan Revazov
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Keine Zuckerwatte-Weihnachtszauber-Welt

Auch sein Ballett ist zwar märchenhaft und ist auch eine Traumgeschichte, aber keine Kindermärchen-Zauberwelt in zuckerwattesüßer Weihnachtsstimmung. Hier funkelt nichts in Weihnachtlichem weiß und rot, hier schimmern Bühne, Kostüme und Licht grün und lila. Es gibt keinen verschneiten Zauberwald, keinen Festball auf der Zuckerburg bei der Zuckerfee, keine Prachtentfaltung im historischen Gewand, wie das gemeinhin erwartet wird und wie es etwa bei der viel zu früh abgesetzten "Nussknacker"-Original-Rekonstruktion 2013 beim Berliner Staatsballett zu sehen war.

Das Tanzen, das Ballett selbst zum Thema gemacht

Giorgio Madia hat eine ziemlich radikale Neuinterpretation gewagt, in dem er das Tanzen selbst, das Ballett zum Thema macht: er lässt Clara in der Weihnachtsnacht davon träumen, eine Tänzerin, eine Ballerina zu werden. Die Puppen, die sie zu Weihnachten geschenkt bekommen hat, Nussknacker, Mäusekönig und Ballerina erwachen zum Leben, Clara darf in ihrem Traum mit ihnen tanzen, darf ihre erste frühe Liebe mit dem Nussknacker erleben, darf sich feiern lassen als Star-Ballerina bei einer von ihr geträumten "Nussknacker"-Aufführung.

Der Zauber der Musik von Peter Tschaikowsky

Das hat zwar kaum etwas vom sonst üblichen "Nussknacker"-Zauber, aber diese Neudeutung funktioniert gut, denn Giorgio Madia erzählt das völlig schlüssig als schönen, auch lustigen kindlichen Traum. Und der Zauber der Musik von Peter Tschaikowsky ist ohnehin unzerstörbar – Blumenwalzer, Tanz der Schneeflöckchen, Tanz der Zuckerfee – die herrliche Musik kommt hier zwar vom Band, mit einer alten Aufnahme mit dem London Symphony Orchestra unter André Previn von 1972, ist aber wirklich zauberhaft.

Neudeutungen der Märchenhandlung

Für seine Neuinterpretation hat Giorgio Madia einiges von der Märchenhandlung weggelassen oder umgedeutet. Das Weihnachtsessen bei Claras Familie ist mehr Chaos als Feier, ist eine Parodie auf Tischetikette und Weihnachtsfestlichkeit. Der Kampf der Mäuse gegen die Zinnsoldaten ist ein ulkiges Herumgewusel. Schneekönigin und Schneekönig fallen aus, wie auch die Charaktertänze im zweiten Akt.

Und dieser berühmte zweite Akt, eigentlich ein Festball bei der Zuckerfee, findet hier in einem schnöden Balletttrainingssaal samt Ballettstange statt. An der muss Clara erstmal mühsam trainieren, bevor sie dann, weil die eigentliche Ballerina sich verletzt, als Star ihrer Traum-"Nussknacker"-Aufführung glänzen kann.

Entscheidende Umdeutung – Onkel Drosselmeyer

Entscheidend ist die Umdeutung der Figur des Onkel Drosselmeyer. Giorgio Madia gibt ihm das Magische und Dämonische der Erzählung von E.T.A. Hoffmann zurück, was in der sonst üblichen Ballettfassung kaum noch vorhanden ist. Alyosa Forlini, ohnehin einer der besten Charakterdarsteller am Cottbusser Ballett, glänzt hier als etwas unheimlicher Magier, der die Puppen und die Traumwelt zum Leben erweckt. Und er glänzt als geckenhafter Ballettmeister, der wie ein eitler Gockel seinen Tänzern vortanzt. Hier frönt Giorgio Madia seinem Hang zum Komischen - er überzieht die Ballettbewegungen ins Groteske, macht sich über den Künstler-Genie-Kult und auch über sich selbst als Choreografen lustig.
So wird die Figur des Drosselmeyer zum eigentlichen Star des Abends, Alessandra Armorina als Clara und Stefan Kulhawec als Nussknacker bleiben dagegen eher holzschnittartig.

Choreografie auf das kleine Cottbusser Ballett zugeschnitten

Insgesamt hat Giorgio Madia die Anforderungen an das tänzerische Niveau in den Szenen, die er ernst meint, also nicht ironisch angeht, etwa im Blumenwalzer oder im Liebes-Pas-de-Deux, abgesenkt. Das hat wenig zu tun mit dem, was man von den großen internationalen Compagnien erwarten kann. Er lässt v.a. pantomimisch-darstellerisch agieren, hat dieses Ballett auf die Fähigkeiten der kleinen Cottbusser Compagnie zugeschnitten. Er selbst nennt das eine "Kammerversion", 18 Tänzerinnen und Tänzer übernehmen alle Rollen, also extrem wenige und Ballettschülerinnen und -Schüler wie sonst oft üblich bei "Nussknacker"-Aufführungen gibt es hier nicht.

Unterhaltung, Situationskomik, Drolligkeiten

Wie in seinen bisherigen Cottbusser Inszenierungen und in seinen drei Choreografien für das Berliner Staatsballett in den Nuller- und Zehner-Jahren setzt Giorgio Madia auch hier auf revuehafte Unterhaltung, auf Situationskomik und kleine Albernheiten, auf wunderlich-phantasievolle Drolligkeiten. Und das funktioniert alles gut, da er seine Handlung stimmig und ganz im Einklang mit Tschaikowskys Musik erzählt.

Das Cottbusser Premierenpublikum war begeistert, es gab Jubel, auch Standing Ovations. Dieser "Nussknacker" wird in der Adventszeit noch viele Zuschauer in Cottbus glücklich machen.

Frank Schmid, rbbKultur

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