Kevin Bonono: A Sensation of a Truth © Mayra Wallraff
Mayra Wallraff
Bild: Mayra Wallraff Download (mp3, 7 MB)

Tanztage Berlin | Sophiensæle - Kévin Bonono: "A Sensation of a Truth"

Bewertung:

Das Gesehenwerden und was es in uns auslöst - das ist das Thema der Solo-Performance des Berliner Tänzers und Choreografen Kevin Bonono, 1992 im französischen Amiens geboren, zeitweise in Kamerun aufgewachsen. Seine Performance "A Sensation of a Truth" hat Bonono gestern bei den Tanztagen Berlin, dem Tanz-Newcomer-Festival präsentiert.

Kevin Bonono: A Sensation of a Truth © Mayra Wallraff
Bild: Mayra Wallraff

Das Gesehen-Werden und seine Auswirkungen, wie es uns verändert, unsere Körperhaltung und -Spannung, wie wir uns bewegen, uns selbst wahrnehmen, also die Wirkung der Fremdwahrnehmung dürfte für alle Menschen eine bekannte Erfahrung sein. Für Kévin Bonono dürfte es viele weitere Bedeutungen und Wirkungen haben. Denn er ist schwarz. Und damit verbindet sich das Gesehen-Werden leider mit Erfahrungen von Rassismus und Diskriminierung, mit Exotisierung und Erotisierung oder mit Negation, dem völligen Übersehenwerden.

Der Blick auf den schwarzen Körper ist in einem überwiegend weißen Umfeld immer ein Blick auf das vermeintlich Fremde und er weckt all die Assoziationen, die damit einhergehen. Leider, denn eigentlich sollte sie nicht zählen, die Hautfarbe oder die Herkunft des Vornamens, wie in der aktuellen Silvester-Debatte.

Eigene Erfahrungen und Allgemeingültiges

Kévin Bonono thematisiert in seinem Stück seine eigenen Erfahrungen mit Rassismus und Diskriminierung, allerdings nicht vordergründig. Die Tatsache, dass er ein schwarzer Mann ist, ist eine Bedeutungsebene dieses Stücks über das Gesehenwerden oder wie es etwas unglücklich im Genderdiskurs heißt: "Gelesen-Werden". Er thematisiert seine persönliche Erfahrung und verweist auf das Allgemeingültige.

Gesehenwerden heißt immer auch: Bewertet-Werden. Aus Hautfarbe, Kleidung, Körpersprache, Auftreten, Mimik und Gestik werden Rückschlüsse gezogen, Interpretationen zu Herkunft und Gruppenzugehörigkeit, zu Schicht und Klasse, zu Geschlecht und Sexualität.

Kévin Bonono fasst das Thema also konkret und allgemein und er fragt, welche Wirkungen das Gesehen- und Bewertet-Werden hat.

Und das zeigt er auf berückend einfache Weise. Indem er uns zuerst die Möglichkeit, ihn zu sehen entzieht, sich danach in absoluter Offenheit präsentiert und indem er uns Zuschauer zwingt, uns selbst zu betrachten.

Aus Distanz wird Intimität

Zu Beginn verschwindet er in einem Kubus aus weißen Stoffbahnen. Der steht in der Mitte der Bühne, wir Zuschauer sitzen auf zwei Seiten und sehen zunächst nur einzelne Körperteile, die Bonono zwischen den Vorhängen hervorschiebt. Und wir sehen nur Live-Kamera-Bilder aus dem Inneren des Kubus, übertragen auf vier Monitore, Bilder aus verschiedenen Perspektiven, wie er sich reckt, streckt und dehnt. Unsere Blicke auf ihn sind also eingeschränkt, er bestimmt, was wir zu sehen bekommen.

Danach tanzt er beinahe nackt, nur in weißer Unterhose, klettert durch eine Zuschauerreihe, kommt einzelnen Zuschauern sehr nah, reibt fast Gesicht und Körper an ihnen. Aus Distanz wird Intimität.

Und später werden dann die Kameras auf uns Zuschauer gerichtet. Wir sehen uns auf den Monitoren, was einigen sichtlich Unbehagen bereitet. Eine Umkehrung des Blickes also und ein Selbst-Gewahrwerden der Wirkungen des Gesehen-Werdens.

Grenzen der Entfaltung

Im Tanz und in den körpersprachlichen Bildern schlüpft Kévin Bonono momenthaft in andere Identitäten, zeigt die Karikatur eines Model-Catwalks auf Zehenspitzen und mit extrem zurückgezogenen Schultern und die eines Macho-Mannes, der sich aufplustert und die Karikatur eines gefallsüchtigen maskenhaft lächelnden Go-Go-Boys. Er zeigt einen Körper in Verhärtungen und in eruptiven Verkrampfungen, zeigt einen Körper und einen Tanz, der nichts Selbstverständliches hat, nichts Selbstzufriedenes, ein unfreies Ich, gefangen in Zuschreibungen. Er zeigt einen Menschen, dem Grenzen in seiner Entfaltung gesetzt sind und der sich dagegen zur Wehr setzt.

Erst am Ende, im letzten Tanzbild, scheint zumindest die Möglichkeit zu Freiheit auf.

Kevin Bonono: A Sensation of a Truth © Mayra Wallraff
Bild: Mayra Wallraff

Zumutungen und Gefahr des Verschwindens

Als einen Hoffnungsschimmer könnte man es verstehen, dieses letzte Bild. Nachdem Kévin Bonono auch gezeigt hat, dass die Fremd-Zuschreibungen selbst im Alleinsein ihre Wirkung haben. Da liegt er rücklings auf dem Boden, die Monitore verdecken seinen Körper fast vollständig, ein Kamerabild zeigt uns sein Gesicht, das Gesicht eines Menschen, der den Zumutungen der Zuschreibungen nicht entkommen kann.

Selbst dann nicht, wenn er sich vervielfältigt, also möglichst viele Identitäten von sich entwirft und der Umwelt anbietet, was ebenfalls in ein berückend einfaches Bild gefasst ist. Kévin Bononos Körper wird gefilmt und in Vielfach-Versionen auf eine große Leinwand geloopt – allerdings wirken die Abbilder wie Schatten in einer Nebelwelt. Er selbst droht zu verschwinden.

Eine fesselnde Solo-Performance – eine der besten seit Jahren bei den Tanztagen Berlin.

Frank Schmid, rbbKultur

Weitere Rezensionen

"Die Weihnachtsfeier" im Renaissance-Theater, v.l. Noëlle Haeseling, Harald Schrott, Inka Friedrich © Foto: Ann-Marie Schwanke / Siegersbusch
Foto: Ann-Marie Schwanke / Siegersbusch

Renaissance-Theater Berlin - "Die Weihnachtsfeier – In der Filiale brennt noch Licht"

Autor und Regisseur Peter Jordan gehört zu den Großen des Theaters hierzulande. In Düsseldorf, am D’haus, begeisterte er mit einer virtuosen Bearbeitung von Jaroslav Hašeks "Schweijk", in Berlin, am Renaissance Theater, mit der Tragikomödie "Ein Oscar für Emily". Am Renaissance Theater wurde nun seine Komödie "Die Weihnachtsfeier – In der Filiale brennt noch Licht" uraufgeführt, "durchgesehen und ergänzt von Leonhard Koppelmann", mit dem Jordan als Autor und Regisseur schon oft erfolgreich zusammenarbeitet hat. Peter Claus hat das Stück gesehen.

Download (mp3, 5 MB)
Bewertung:
Schaubühne: "Prinz Friedrich von Homburg" von Jette Steckel, Regie: Jette Steckel; © Armin Smailovic
Armin Smailovic

Schaubühne am Lehniner Platz - "Prinz Friedrich von Homburg"

Durch ein Traumerlebnis verwirrt, verpasst Prinz von Homburg, Reitergeneral des Kurfürsten von Brandenburg, vor der Schlacht von Fehrbellin (1675) die Befehlsausgabe und greift zu früh ins Gefecht ein. Obwohl er die Schlacht gewinnt, verurteilt der Kurfürst ihn nach dem Kriegsrecht zum Tode. Homburg fleht um sein Leben. Heinrich von Kleists Drama hat sein Konfliktpotential in den Gegensätzen individuelle Freiheit oder Staatsräson, Gefühl oder Gehorsam. Jette Steckel inszeniert das Schauspiel, das erst zehn Jahre nach Kleists Tod uraufgeführt wurde, jetzt an der Berliner Schaubühne.

Download (mp3, 8 MB)
Bewertung:
Schlosspark Theater: Die Maria und der Mohamed © DERDEHMEL/Urbschat
DERDEHMEL/Urbschat

Schlosspark Theater - "Die Maria und der Mohamed"

Deutsche Rentnerin und junger Flüchtling aus dem arabischen Sprachraum als Hauptfiguren: da vermuten geübte Komödienkenner eine nette Geschichte um die Kraft von Menschenliebe, Happy End voraussehbar. Diese Erwartung wird im Berliner Schlosspark Theater aufs Schönste nicht erfüllt.

Download (mp3, 7 MB)
Bewertung: