Volksbühne: Monosau © Apollonia T. Bitzan
Apollonia T. Bitzan
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Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - "Die Monosau" von Jonathan Meese

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Jonathan Meese und die Volksbühne, das geht schon lange zusammen: mit Bühnenbildern und eigenen Performance-Stücken. Ein allumfassender Künstler, der die Grenzen von bildender und darstellender Kunst locker sprengt. So auch in seiner neuen Arbeit für die Volksbühne mit dem vielversprechenden Titel "Die Monosau". Dem liegt ein jahrelang verfolgtes Buchprojekt, ein Episodenroman, Jonathan Meeses zugrunde: "K.U.N.S.T.".

Eine Szene aus der Uraufführung des Stücks "Die Monosau" in der Volksbühne (Bild: Apollonia T. Bitzan)
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"Episodenroman on the rocks" lautet der Untertitel der "Monosau" – eine schöne Wortneuschöpfung für etwas deutlich Simpleres: eine Sammlung von Schreibereien, die Jonathan Meese 1996 jeden Tag handschriftlich notiert hat. Seine Mutter Brigitte hat sie allabendlich abgetippt, doch es war so viel Material, dass sie kaum hinterher kam.

Meese heftete die handschriftlichen und die getippten Seiten zu einer Art "Künstlerbuch" und verschickte Kopien an zehn Verlage. Doch keiner wollte es drucken. Erst 2018 erschien die wilde Collage als Buch, ein Backstein von fast 600 Seiten.

Von der freien Kunst, der Diktatur der Kunst

Die "Monosau" ist sowohl der Titel des Buches als auch der Titel einer Geschichte darin sowie der Name der Hauptfigur dieser Geschichte. Die Monosau ist eine Rampensau. Ein Sänger, der die Halle zum Kochen bringt und die Frauen in Ohnmacht fallen lässt. Zudem das Prinzip, das bei Meese stets im Zentrum steht: die freie Kunst, die Diktatur der Kunst, die er immer wieder ausruft, und die machen können soll, was sie will.

Meese selbst steht diesmal nicht auf der Bühne. Die großartige Kerstin Graßmann, die schon mit Christoph Schlingensief gearbeitet hat, haut den Monosau-Monolog in ihrer herben, rotzigen Berliner Art und unter großer Beteiligung der Souffleuse heraus, bevor sie in schräger Tonlage "Wunder gibt es immer wieder" anstimmt.

Zweieinhalb Studen kindischer Nonsens

Doch der Monolog ist nur eines der zahllosen kryptischen Text-Fitzelchen in diesem Buch, die sich alle recht sinnfrei an Machtmännern, an Mythen und Filmfiguren abarbeiten. Wagners "Rheingold" spielt die größte Rolle, damit beginnt der Abend. Drei Musiker spielen vor der Bühne die ersten Wagner-Klänge, Martin Wuttke taucht mit Umhang und Streitaxt aus dem Nebel auf und rezitiert einen Text über "Urkaschperl" und "Abkaschperl". Derweil fährt ein riesiger schwarzer Klumpen über die Bühne, der sich zum Goldklumpen wandelt – ein Schöpfungsmythos, die Frage nach der Entstehung der Kunst?

Darauf folgt ein wildes Potpourri aus Cowboys, Piraten, Vogelbabys, Dr. No, Barbarella, eine längliche Erzählung über eine Schlägerei im London der (vermutlich) 1960er Jahre, später gibt’s British Tea. Das klingt lustiger als es ist, denn die Texte sind so wirr, so voller kindischem Nonsens, dass es über knapp zweieinhalb Stunden doch sehr zäh wird, dem Treiben zuzuschauen.

Die Schauspieler:innen feiern sich ausschließlich selbst

"Ein garantiert regiefreier Abend" verspricht die Volksbühne. Eine charmante Idee, und wenn man Meese ernst nimmt, geht es auch gar nicht anders: Die Kunst selbst ist schließlich der Diktator.

Die sinnhaftesten Momente sind noch die, in denen ein weißer Ballon vom Bühnenhimmel gelassen wird, darauf eine Video-Projektion von Meeses Kopf: Wir alle müssen zu Proleten der Kunst werden, ruft er darin, 2023 werde Deutschland zum Gesamtkunstwerk. Soll heißen: Alles ist erlaubt – also genau das Gegenteil dessen, was politisch korrekte Kunst ausmacht.

Doch der Text mit seiner Trash-Science-Fiction, die man nicht einmal beim Lesen dechiffrieren kann, geschweige denn auf der Bühne, ist ungeheuer ermüdend. Zudem feiern sich die Schauspieler:innen ausschließlich selbst – ohne Rücksicht auf Verluste. Vor allem Martin Wuttke und Benny Claessens, die eigentlich zum Niederknien spielen, sind hier derartige Monosäue und Rampensäue, dass der Abend mit seinen ausgestellten Eitelkeiten eben gerade nicht die Kunst feiert, sondern die Künstler:innen. Das Publikum soll dabei lediglich Claqueur spielen.

Eine weitere Enttäuschung an der Volksbühne

Vor einer Woche erst stand die Volksbühne wieder in den Schlagzeilen: Eine neue Besetzung drohe, durch das kleine Kunstkollektiv "Staub zu Glitzer". Doch bei näherem Hinsehen ist eine Besetzung eher unwahrscheinlich und die Geschichten dahinter klingen immer skurriler. "Staub zu Glitzer" bittet derzeit öffentlich um über 600.000 Euro Spenden, um die Gerichtskosten stemmen zu können, sollte der Intendant René Pollesch die Polizei rufen.

Falls das keine Satire ist, wäre es natürlich Wahnsinn, die Menschen (ausgerechnet in der jetzigen Weltlage) nach 600.000 Euro zu fragen – für die Besetzung eines öffentlichen Theaters. Grund für die Besetzung ist wohl, wie sich immer deutlicher herauskristallisiert, dass die Künstler:innen selbst nicht eingeladen worden sind, am Haus zu arbeiten.

Was nichts daran ändert, dass die Volksbühne mit der "Monosau" eine weitere Enttäuschung produziert hat, nachdem es in den letzten Monaten gerade ein wenig bergauf gegangen war.

Barbara Behrendt, rbbKultur

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