Space Queers Ein SciFi-Abenteuer von Paul Spittler und dem Jungen DT
Arno Declair
Bild: Arno Declair Download (mp3, 9 MB)

Uraufführung am Jungen Deutschen Theater - "Space Queers" von Paul Spittler

Bewertung:

In der Box des Deutschen Theaters in Berlin haben acht queere Jugendliche mit dem Regisseur Paul Spittler eine trashige Science-Fiction-Komödie entworfen. Der Stoff: das von Heteronormativität befreite Leben im Jahr 2323. Ein Stück für Insider.

Was heißt es, in Diversität miteinander zu leben? Diese Frage sollte dem Abend "Space Queers" am Jungen Deutschen Theater mit acht queeren Jugendlichen zugrunde liegen – ein Science-Fiction-Abenteuer, das im Jahr 2323 spielt. So divers sieht es in der imaginierten Zukunft dann zwar gar nicht aus, dafür aber queer, jung und quietschbunt.

Das Raumschiff der "Space Queers" hat einen längeren Zwischenstopp auf der Erde eingelegt und geht nun auf neue Mission, um die interstellare "Allianz der bedingungslosen und ultimativen Diversität" zu retten. Der Schlüssel zur Utopie wird gesucht – wobei diese Utopie schon eingetreten scheint: Die Erde ist vom Patriarchat befreit, Heteronormativität abgeschafft, bei Unstimmigkeiten wird gekuschelt.

Junges DT: Space Queers – Ensemble; © Arno Declair
Bild: Arno Declair

Die Bedrohung: Der Kirsch-Muffin-Planet

Die Crew-Mitglieder haben in ihrer Freizeit auf der Erde verschiedene Fortbildungen besucht, von Yoga über Love Language bis zum "Recht auf Faulheit". Und machen sich jetzt startklar: als "Star of Softness" stellt sich ein junger Mann mit weißem Glitzer-Outfit und blonder Perücke vor. "Star of Kommunikation", genannt "der krasse Orbit-Kommunikator", trägt Nosferatu-Mantel und auf der Stirn blaue Hörner. "Star of Kleiderschrank" ist die Styling-Queen in pink, "Star of Abwechslung" ein grüner Alien mit Pappmache-Kopf und haarigen Klauen.

Bei ihrer irren Reise durchs Weltall treffen sie – natürlich! – auf den Feind, das ultimative Böse, hier in Form eines planetengroßen Kirschmuffins. Ähnlich übrigens wie im gefeierten Kinofilm "Everything Everywhere All at Once", wo ein riesiger Donut die Welt bedroht.

Heidi Klum manipuliert mit Quietschstimme

Schmatzende Plastiktentakel breiten sich über der kleinen Bühne aus und verschlucken ein Crew-Mitglied, Star of Kuscheligkeit, die stets für Harmonie gesorgt hat. Ausgespuckt wird sie wenig später ausgerechnet als Heidi-Klum-Persiflage, die vom Feind "P-RO 7" programmiert worden ist – eine gute Pointe.

Nun manipuliert sie mit Quietschstimme und falschen Versprechen von Ruhm und Anerkennung die Crew, die schnell ins Verhalten unserer Tage zurückfällt: Softie entwickelt sich zurück zum echten Kerl, die queere Styling-Queen zur arroganten Bitch. Nur Star of Protektion kämpft verbal (Gewalt wird abgelehnt) gegen die Heidi-Maschine: "Du bist das Wahrzeichen der binären und hierarchischen Klassifizierung! Du bist der Pimperator! Dir geht es nur darum, als Vertreterin des Patriarchats die Reproduktion des alten bestehenden heteronormativen Systems zu sichern!" Und so befreit sie die Crew, alle schwören auf Liebe zur Vielfalt und Awareness – Happy End!

Im Zentrum von Paul Spittlers Inszenierung steht jedoch nicht die hanebüchene, irrwitzige Story, sondern ganz dezidiert: der Spaß am Trash, am Glitzer, am Sci-Fi-Quatsch – der hier mit großem Detailreichtum und schön absurden Spielereien zelebriert wird. Das Raumschiff setzt bei Gefahr "Hormon-Aromen-Heterolyse-Atome" frei, die beim Gegner jede Aggression und jede Ambition zur Heteronormativität verfliegen lassen. Angetrieben wird das "Space Absurdity Absorbing Intergalactic Infinityship" zudem klimaneutral mit der Energie aus historischen Kriegen aller Planeten, vor allem "Transgender-Kämpfen und radikalfeministischen, antirassistischen Kämpfen". In "siebenfacher Hyper-Miau-Geschwindigkeit" rauscht das Raumschiff dann durchs All.

Slay, Queers!

Natürlich steht an diesem Abend die Selbstermächtigung der queeren jungen Akteur:innen im Zentrum. Mit den aktuellen Diversitätsdebatten sollte man sich als Zuschauer:in daher halbwegs auskennen. Denn nicht nur sprechen die Jugendlichen in Turbogeschwindigkeit, es werden auch viele Pointen über Awareness (Achtsamkeit, respektvolles Miteinander), Heteronormativität, Sassiness (queere, freche Selbstbehauptung) und slay sein (beeindruckend sein) abgefeuert – nicht in jedem Wortschatz gängige Vokabeln...

Space Queers: Ein SciFi-Abenteuer von Paul Spittler und dem Jungen DT (Quelle: Arno Declair)
Bild: Arno Declair

Insider Sci-Fi

Liebe zum Science-Fiction-Trash ist ebenfalls ein Muss. Wem "Space Balls" und "Per Anhalter durch die Galaxis" gefällt, der kann hier ebenfalls Spaß haben – so wie es beim Premierenpublikum mit fast ausschließlich jungen Menschen und Freund:innen der Performer:innen ganz offensichtlich der Fall war.

Mit Diversität, also mit dem Einbeziehen einer großen Bandbreite an Geschichten, Menschen, Identitäten, hat die Inszenierung allerdings wenig zu tun. Sie ist, um im Vokabular zu bleiben, ein "closed shop", eine Insider-Veranstaltung für woke, heteronormativitätskritische Trash- und Sci-Fi-Fans unter 30.

Barbara Behrendt, rbbKultur

Weitere Rezensionen

Gorki Theater: Schlachten © Ute Langkafel MAIFOTO
Ute Langkafel MAIFOTO

Gorki Theater - "Schlachten" von Oliver Frljić

Der Regisseur Oliver Frljić verarbeitet am Maxim-Gorki-Theater verschiedene Texte von Heiner Müller zum dritten Teil seiner Kriegstrilogie. "Schlachten" hat er die Inszenierung genannt, die am Samstag Premiere hatte. Ein zynischer Abend über den Krieg.

Download (mp3, 6 MB)
Berliner Ensemble: Ich habe die Nacht geträumt © Ruth Walz
Ruth Walz

Berliner Ensemble - "Ich hab die Nacht geträumet"

Andrea Breth zählt zu den herausragendsten Regisseur:innen ihrer Generation. Nach "Drei Mal Leben" von Yasmina Reza inszeniert sie nun wieder am Berliner Ensemble. "Ich hab die Nacht geträumet", so heißt ihr musikalischer Theaterabend, der sich mit der widersinnigen Logik von Träumen beschäftigt. Gestern feierte das Stück Premiere.

Download (mp3, 5 MB)
Bewertung:
DT: Dogs of Europe © Linda Nylind
Linda Nylind

Theaterfestival "Radar Ost" - "Ha*l*t" und "Dogs of Europe"

Kann Kunst vom Krieg erzählen? Diese Frage, die über der aktuellen Radar-Ost-Ausgabe steht, nennt die Festival-Kuratorin Birgit Lengers zu Recht eine rhetorische. "Natürlich kann Kunst das. Das tut sie schon seit Beginn des Theaters. Schon Aischylos hat mit den Persern vom Krieg erzählt. Unsere Frage ist: Wie macht das Theater das? Mit welchen Formen, mit welchen Motiven, mit welchen Ästhetiken, mit welcher Haltung?

Download (mp3, 7 MB)
Bewertung: