Radialsystem - Sasha Waltz & Guests: "Beethoven 7"
Klassische Musik und Zeitgenössische Musik – beides hat Sasha Waltz schon immer fasziniert, beides hat sie für viele ihrer berühmt gewordenen Choreografien genutzt. Und so auch bei ihrem neuen Stück. "Beethoven 7". Diesmal zu Ludwig van Beethovens Siebter Sinfonie und zu Zeitgenössischer Musik von Diego Noguera. Am Wochenende war Uraufführung im Berliner Radialsystem.

Dies ist ein Doppelabend mit zwei Choreografien und halbstündiger Pause dazwischen, zu völlig unterschiedlicher Musik, die höchstens über die jeweilige Bedeutung des Rhythmus vergleichbar sind.
Beethoven und Noguera – Klassik und Zeitgenössische Musik
Ludwig van Beethoven entwickelt in seiner Siebte Sinfonie alle Sätze aus den Rhythmen heraus, wie aus kleinen Rhythmuskeimzellen, die alle Variationen der Themen und Motive dominieren. Der in Berlin lebende chilenische Komponist Diego Noguera hingegen exerziert in seiner Musik "Freiheit/Extasis" den Rhythmus unserer Zeit – einen hämmernden Techno. Dieser legt sich auf die spitzen, steil ansteigenden Sirenen, das lang gezogene schneidend scharfe Jaulen, das gegen Ende in Donnerschläge, tiefe schwere Bässe, extrem harte, schnelle und sehr laute Technomusik mündet, die einige Zuschauer aus dem Saal getrieben hat.

Kreatürlich obsessiver Alien-Tanz
Techno-Musik im Tanz ist seit langem nicht mehr ungewöhnlich, aber für Sasha Waltz schon und ihr Tanz dazu ist für ihre Verhältnisse außergewöhnlich. Die Tänzerinnen und Tänzer gleichen animalischen Wesen, tragen zu Beginn Kopfpanzer, die weit nach hinten ragen, nach Insekten-Köpfen, nach Alien-Köpfen aussehen. Und wie fremde Wesen in einer ihnen fremden Welt bewegen sie sich auch: unsicher, orientierungslos, die Arme leicht steif abgewinkelt, die Körper schief aus den Achsen gekippt, wie verrenkt und tapsig ungelenk, oft in Zeitlupe oder in hektischem Wuseln und Wimmeln. Weite und Enge prägen diese Bewegungen, ein Ausdehnen der Körper und zusammenschrumpelndes Verkleinern.
Ein kreatürlicher Tanz mit obsessiven Wiederholungen kleinster Sequenzen, eine radikale Tanz-Ästhetik, die künstlich und unnahbar bleibt, aber in sich schlüssig ist – eine ziemliche Überraschung.
Überraschung zu Beethovens Siebter Sinfonie
Eine Überraschung gab es auch im zweiten Teil des Abends zu Beethovens Siebter Sinfonie - die hat allerdings lange auf sich warten lassen, bis zum dritten Satz der Sinfonie. Bis dahin war im ersten Satz Schwelgerisches zu sehen, viele Läufe über die Bühne, viele Drehungen mit Armschwüngen, auch Kreis- und Reigentänze. Im vergnüglich-lebhaften ersten Satz folgt Sasha Waltz der Musik, den Themen, Stimmungen und Tempi, v.a. den Rhythmen der Musik. So auch im zweiten Satz mit der Trauermusik, die ins Transzendente mündet. Den inszeniert sie als langsamen Schreittanz in etwas aufgesetzter Tragik, die Tänzer in schwarzen Röcken und Hosen pendeln langsam vor und zurück. Bis dahin war alles konventionell und so auch erwartbar, bis zur Überraschung im dritten Satz.
Widersprüche und Gegensätzlichkeiten
Da beginnt ein Tänzer plötzlich beginnt zu zucken, seine Bewegungen zersplittern, es scheint seinen Körper zu zerreißen, was allmählich auf alle anderen überspringt. Die bisherige Harmonie von Tanz und Musik endet, dies ist nun keine heile schöne Welt mehr, kein Jubilieren, kein losgelöstes freudiges Taumeln im Finalsatz – stattdessen Kanten, Ecken und Widersprüche im Tanz, Gegensätzlichkeiten zur Musik.
Was auf die Spitze getrieben wird, wenn dann eine Tänzerin eine durchsichtige, silbern schimmernde große Fahne schwingt, eine Anspielung auf eine Interpretationslinie der Siebten Sinfonie als festlich-nationalstolze Feier-Musik. Die kurz befürchtete Peinlichkeit eines Aufgreifens stolzer Trunkenheit, bleibt zum Glück aus, die Widersprüche bleiben. Niemand schließt sich der Fahnenschwingerin an, der Tanz bleibt brüchig und karstig, Musik und Tanz bleiben im Zerwürfnis. Beethovens ausgelassener Jubel-Taumel am Ende findet im Tanz keine Entsprechung.

Keine wirklich schlüssige Kombination
Das Bruchstückhafte, Zerkarstete des Tanzes im Beethoven-Teil mag als Anknüpfen an den Alien-Tanz zu Nogueras Musik gedacht sein, wirklich schlüssig ist das nicht. Aber immerhin beendet Sasha Watz hier konsequent alles Gefällige und Herkömmliche. Der erste Teil zur Elektronischen Musik von Diego Noguera ist so ungewöhnlich und befremdlich, dass er vielleicht als neue Werkphase interpretiert werden könnte, wenn diese völlig entfremdete Bewegungssprache - übrigens leider wieder ohne den früher so wunderbaren Humor bei Sasha Waltz - noch mal in ihren Choreografien auftauchen sollte.
Am Ende Jubel vom Publikum, durchaus zu Recht.
Frank Schmid, rbbKultur