Schaubühne Berlin "Die Möwe" von Anton Tschechow © Gianmarco Bresadola
Gianmarco Bresadola
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Schaubühne Berlin - "Die Möwe" von Anton Tschechow

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Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier kann Geschichten mit politischer Schlagkraft hervorragend inszenieren. Jetzt hat er sich Anton Tschechows Künstler-Komödie "Die Möwe" vorgenommen - tut sich jedoch mit diesem Genre schwer.

Das Schönste an der Inszenierung der "Die Möwe" an der Berliner Schaubühne ist das Bühnenbild: Endlich Sommer! Die Vögel zwitschern und eine ungefähr hundertjährige Platane breitet ihre vollen, grünen Äste über dem Publikum aus. Im Halbrund sitzen die Zuschauenden um die kleine Bühne und den gewaltigen Baum, ganz nah am Geschehen.

Kostja und Nina proben dort, im Schatten der Platane, Kostjas Theaterstück. Er ist jung, er will das Theater verändern, neue ästhetische Formen finden, weg von der Klassik, hin zur Avantgarde. Und er ist unsterblich in Nina verliebt. Nina möchte Schauspielerin werden, kann mit Kostjas Kunst allerdings wenig anfangen: Der Text sei zu abstrakt, konzeptuell und unlebendig, wirft sie dem unverstandenen Jungdramatiker vor. Als die beiden das Stück vor der Familie aufführen, unterbricht Kostjas Mutter Arkadina - eine berühmte, geltungssüchtige Schauspielerin des klassischen Kanons - das Spiel so oft mit ihren Kommentaren, bis ihr Sohn tödlich verletzt davon läuft. "Es war nichts anderes als eine Provokation gegen mich", ruft sie ihm nach. "Er will mir zeigen, was man heute schreibt und wie man es spielt!"

Die Schauspieler Stephanie Eidt (M, Arkadina), Joachim Meyerhoff (l, Trigorin) und Ilknur Bahadir (r, Polina) spielen am 06.03.2023 während einer Probe zum Stück „Die Möwe“ (Anton Tschechow) in der Schaubühne am Lehniner Platz. (Quelle: dpa/Soeren Stache)
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Tiefe Sehnsucht nach der Liebe

Ganz wie bei Tschechow geht es an diesem Abend an der Schaubühne jedoch nur vordergründig ums Theater und die Kunst. Darunter liegt die tiefe Sehnsucht nach Liebe, Anerkennung und einem erfüllten Leben. Der Lehrer Semyon liebt Mascha, die Tochter der Gutsverwalter. Mascha ist unsterblich in Kostja verliebt, Kostja in Nina, Nina in den Schriftsteller Trigorin, der mit Kostjas Mutter liiert ist. Zutiefst komisch wird dieser Reigen, weil Tschechow die Figuren mit viel Selbstmitleid ihr Los beklagen lässt, hinter dem die Nöte der Gesellschaft komplett verschwinden.

Und so versucht sich Thomas Ostermeier mit der "Möwe" an einem Genre, das man an der Schaubühne bislang kaum von ihm kennt: der Komödie. Allerdings scheinen er und sein glänzendes Ensemble sich nicht recht entscheiden zu können, ob sie die Figuren nun augenzwinkernd komisch-ernst nehmen, oder diese Gesellschaft der Narzissten nur noch verlachen können.

Schillernd schrullig: Joachim Meyerhoff

Stephanie Eidt als Arkadina etwa gibt mit goldener Wasserwelle die Karikatur der herrischen Diva, wenn sie sich nach einem giftigen Schlagabtausch mit ihrem hysterischen Sohn, gespielt von Laurenz Laufenberg, theatralisch auf dem Boden wälzt und schreit: "Du bist ein Nichts, ein Niemand! Eine Null!"

Anders ist das bei Joachim Meyerhoff, dem eindeutigen Star des Abends, dessen erfolgsverwöhnter Schriftsteller Trigorin tatsächlich ein wenig an seiner scheußlichen Selbstbesessenheit zu leiden scheint. Gerade die humorlose Schrulligkeit, die er diesem gebeugten Intellektuellen mit Halbglatze und Lesebrille abringt, ist komisch und seltsam rührend.

Meyerhoff kann Komödie. Alina Vimbai Strähler dagegen spielt als junge Nina großes Drama. Die anderen Schauspieler:innen verorten sich irgendwo zwischen krachledernem Humor, hysterischen Anfällen und psychologischem Spiel, so als stünde jede und jeder in einem anderem Stück auf der Bühne. Diese unterschiedlichen Interpretationen mögen auch daher kommen, dass jedes Ensemblemitglied den eigenen Rollentext in die Gegenwart übertragen durfte.

Die Schauspieler Alina Vimbai Strähler (l, Nina) und Joachim Meyerhoff (r, Trigorin) spielen am 06.03.2023 während einer Probe zum Stück "Die Möwe" (Anton Tschechow) in der Schaubühne am Lehniner Platz. (Quelle: Picture Alliance/Soeren Stache)
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Ein schwieriges Genre

Über die Dauer von knapp drei Stunden ist es zwar noch immer ein gut unterhaltender, virtuoser Abend. Und das Porträt der narzisstischen Künstler:innen, denen die Welt piepegal ist, muss man unbedingt als Kommentar auf unsere Zeit lesen. Doch von Ostermeier ist man psychologisch präziser gearbeitete Inszenierungen gewohnt - mit politischerer Schlagkraft in die Gegenwart. Die fein austarierte, menschliche Komödie à la Tschechow ist weniger seine Sache.

Barbara Behrendt, rbbKultur

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