Staatstheater Cottbus - "Vom Neuen. Im Hier und Jetzt"
Große Ballettpremiere am Wochenende im Großen Haus des Cottbusser Staatstheaters: Die Cottbusser Ballettcompany hat einen dreiteiligen Abend zur Premiere gebracht: "Vom Neuen. Im Hier und Jetzt" - so der Titel. Ein Abend mit Choreografien von Jörg Mannes und Ihsan Rustem.
Schlicht "Lux", also "Licht" heißt das Stück von Jörg Mannes aus dem Jahr 2009, aus seiner Zeit als Ballettdirektor an der Staatsoper Hannover, in Cottbus neu einstudiert, mit dem der Abend eröffnet wird.

Spiel mit Licht und Schatten in "Lux" von Jörg Mannes
Eine spektakuläre Choreografie, in der er mit Lichteffekten spielt, mit Lichtflecken und -streifen in der Dunkelheit der kahlen Bühne, mit Spotlights, hängenden Glühbirnen, einer kleinen Leuchte an einer Angel, die ein Tänzer zu erhaschen versucht, mit Gegenlicht, das ins Publikum blendet. Teilweise sind die Tänzerinnen und Tänzer nur als scharfe Silhouetten zu sehen oder wie Schattenfiguren, wenn sie sich aus der Dunkelheit ins Licht schälen oder hineinstürzen und springen. Das ist eine rasante Choreografie, äußerst wechselhaft in den Stimmungen und Atmosphären, denn Jörg Mannes hat seinen Tanz punktgenau auf die Musik des Cellisten und Komponisten Giovanni Sollima choreografiert.
Voller Widersprüche: Giovanni Sollimas Musik für Cello und Orchester
Und Sollimas Musik für Cello und Orchester ist voller Widersprüche, ist elegisch und lyrisch, schrill-dramatisch und aufbrausend, ist romantisch und melodiös, also auch voller Konflikte und denen folgt Mannes in seinem abstrakten Tanz. Dieser ist von Klassischem Ballett und Neoklassik inspiriert, die Bewegungen changieren zwischen kleinteilig-kantig-scharf und großflächig-weitläufig in den Raum, v.a. in den Armbewegungen, die winklig-klein verzettelt oder riesig windmühlenartig ausschweifend sind. Das ist ein Rausch an Vielfalt und Einfällen, von mitunter expressionistischem Charakter. Sehr präzise von den Tänzern umgesetzt – ein imponierender Auftakt für diesen Abend.
Unruhezustände: "Yidam" von Ihsan Rustem
Der ähnlich herausfordernd weitergeht, mit "Yidam" von Ihsan Rustem, dem früheren Ballett-Tänzer aus Großbritannien, der schon seit Jahren in der Schweiz lebt. Mit diesem Stück hat er 2015 auf seine Anfänge mit Meditation reagiert, mit der Überraschung, dass sich die erhoffte Ruhe nicht eingestellt hat, was jeder nachvollziehen kann, der sich mit Meditation beschäftigt hat: anfangs kommt das Kopfkarussel eben nicht gleich zu Ruhe - ganz im Gegenteil, die Gedanken rasen dahin.

Und das hat Rustem im Tanz umgesetzt, in fiebrigen Spannungen, Unruhezuständen, in Atemlosigkeit und mitunter wüsten Ausbrüchen. Eine hochkomplexe Choreografie, die Körper in scharfen Verkantungen, passend zur Musik des Amerikaners Michael Gordon, der dauererregten, rastlosen minimalistischen Streichermusik, manisch und überreizt. Erst am Ende dieser Choreografie stellt sich in all dem Aufgelöstsein ein winziger Moment von Ruhe und Gelassenheit ein – auch das glänzend umgesetzt von den Tänzern.

Ein Schabernack: "Le Fil Rouge" von Ihsan Rustem
Das letzte Stück des Abends ist dann als Beleg dafür zu sehen, wie geschickt Ballettdirektor Dirk Neumann für sein Cottbusser Publikum arrangiert. Ihsan Rustems "Le fil Rouge", "Der Rote Faden" ist ein Schabernack. Rustem lässt zu Chanson-Klassikern von Edith Piaf ("Je ne regrette rien") oder Doris Days "Perhaps" oder Barbaras "Ne me quitte pas" und zu Mambo-Songs tanzen, in exaltierter lasziver Sexyness, angemessen grell und verspielt. Zu "Perhaps" tanzen zum Beispiel zwei Männer, die nicht zu wissen scheinen, ob sie nun was Ernsthaftes voneinander wollen oder doch lieber nicht. Zu Edith Piafs Evergreen zeigt er drei Tänzerinnen im Lipsync, nur dass in ihren Mündern rote Lampen leuchten, wenn sie die Lippen öffnen.
Diese Choreografie ist eine geistreiche Albernheit, pures Vergnügen und das Publikum hat sofort mit Standing Ovations reagiert. Ein insgesamt phänomenaler Ballettabend.

Eine sehr gute Nachricht
Der noch dazu begleitet wird von einer sehr guten Nachricht. Die kleine Ballett-Company des Cottbusser Staatstheaters wird endlich aufgestockt. Es gibt ab der nächsten Saison vier neue Stellen für das Ballett plus zwei Stellen für Elevinnen oder Eleven. Die Company wächst also auf elf feste Tänzerinnen und Tänzer bzw. 13 mit den Eleven – eine sehr gute Nachricht. Das bringt Entlastung und wird größere Produktionen mit weniger teuren Gast-Tänzern ermöglichen und das ist absolut verdient für das einzige Ballettensemble im Land Brandenburg.
Eine eigentlich überfällige Anerkennung für die ausgezeichnete Arbeit des Balletts in den letzten Jahren.
Frank Schmid, rbbKultur