Staatsballett Berlin - "Messa da Requiem" von Giuseppe Verdi
Mit Jubel und langanhaltendem Beifall hat gestern Abend in der Deutschen Oper das Publikum auf die Choreografie "Messa da Requiem" von Christian Spuck, dem künftigen Intendanten des Berliner Staatsballetts, reagiert. Sein Einstand in Berlin mit seiner ersten abendfüllenden Choreografie für das Staatsballett ist gelungen. Einwände sind allerdings nötig.
Giuseppe Verdis "Messa da Requiem", seine Totenmesse, ist eines der bedeutendsten Chorwerke der Musikgeschichte. Verdi folgt hier zwar der Tradition der katholischen Liturgie, hat aber eigentlich ein Oratorium komponiert, in dem auch immer wieder der Opernkomponist aufblitzt.

Verdis Requiem – überwältigende Musik
Sein Requiem ist ein überwältigendes Werk, voller extremer Emotionen. Und das Orchester der Deutschen Oper Berlin hat es unter Leitung von Nicholas Carter auch sehr wuchtig, mit bedrängender Intensität gespielt, manchmal, in den hochdramatischen Phasen, eine Idee zu grell.
Die Choreografie ist ein Gesamtkunstwerk
Zu der mitunter ungeheuren Wucht dieser Musik hat Christian Spuck eine Choreografie im Sinne eines gewaltigen Gesamtkunstwerkes entworfen. Chor, Gesangssolisten und Tänzer verschmelzen miteinander zu einer Einheit, sind oft als große Masse auf der Bühne. Einer Bühne, die mit ihren grau-braun-schwarzen Holzwänden, mit der tiefhängenden Decke und den schwarzen Ascheflocken auf dem Boden wie ein riesiges Verlies wirkt – wobei in Spucks Choreografie weder die Hölle droht, noch der Himmel lockt.
Keine Handlung, keine Visualisierung der Musik – schlichter Tanz
Christian Spuck hat richtigerweise nicht versucht, der Musik eine Handlung zugrunde zu legen. Er hat keine Szenen erfunden, mit denen die Musik bebildert oder visualisiert wird. Sein Tanz steht in der Spannung zwischen Abstraktion und Emotion – ist durchweg nicht-erzählerisch und entsteht aus der Musik.
Allerdings bleibt das Bewegungsmaterial im Kern schlicht. Strecken, Dehnen, Heben, Schweben – das sind die Hauptelemente in wenigen Variationen. Christian Spuck setzt auf gerade Linien der sehr oft weit gestreckten Arme und Beine, ein Ausdehnen der Gliedmaßen und Nach-Hinten-Dehnen der Körper, vor allem der Damen in den vielen Hebungen durch die Herren in den vielen Duo-Szenen, die diese Choreografie prägen.
Arrangieren von Massenszenen
Wenn nicht gerade wieder eine Massenszene arrangiert werden muss. Der Chor, die Gesangssolisten, die Tänzer – mitunter scheint es, als wären mehr als 100 Menschen auf der Bühne und in diesen Szenen ist Spuck eigentlich ein Arrangeur. Er muss schlichtweg Raum finden für den Rundfunkchor Berlin, der szenisch mitagiert, der sich an den Seiten drängt oder über die Bühne flutet. Oft treten die Sänger und Tänzer aus dem Chor heraus und wieder in den Chor zurück, dann strömen die Chorsängerinnen und -Sänger beiseite. Das arrangiert Spuck sehr geschickt, wie ein organisches Fließen.

Recht konventioneller Tanz – nicht alles erschließt sich
Ähnlich im Tanz, der zwar geschmeidig-elegant und auf geschmackvoll-seriöse Art gediegen ist, aber eben auch recht konventionell, ohne eine einzigartige Handschrift bleibt. Und nicht alles im expressiven Spreizen und Dehnen oder in den revuehaften Wellen- und Schlangen-Bewegungen erschließt sich, wenn etwa um Tische herum und mit ihnen getanzt wird. Da wäre etwas mehr Emotion in der Abstraktion wünschenswert gewesen oder auch mal ein Innehalten, wie ein Nachsinnen. Zudem können die Tänzerinnen und Tänzer des Staatsballetts ihre individuelle Klasse hier selten zeigen – das ist keine Choreografie für Glanzpunkte durch die Solisten.
Großes existenzielles Drama – Trauer und Tragik ohne Entrinnen
Gerade weil Christian Spuck nicht der Versuchung erlegen ist, die Musik zu bebildern, gelingt ihm das große existenzielle Drama. Es gelingt ihm, uns an die für uns Menschen unfassbare Tatsache heranzuführen, dass wir alle sterben werden, früher oder später.
Als Gesamtkunstwerk besticht dieser Abend im Schrecken über das bevorstehende Ende. Das ist eine dunkle Messe voller Trauer und Tragik, voller Verlorenheit und Fassungslosigkeit, auch ein Erzählen von der Einsamkeit im Sterben. Immer wieder sind einzelne Tänzerinnen völlig allein zu sehen oder ersterben förmlich in der Hebung durch ihre Partner. Am Ende senkt sich die massige Decke herab – es gibt hier kein Entrinnen, auch wenig Trost und kaum Hoffnung. Das in dieser eindrucksvollen Konsequenz zu zeigen, ist mutig.

Geschickte Entscheidungen
Das Publikum hat auch Christian Spuck ausgiebig gefeiert für diese erste abendfüllende Choreografie, die er in Berlin zeigt, wenngleich sie bereits 2016 entstanden ist, für das Ballett der Zürcher Oper. Von dort kommt Christian Spuck als neuer Staatsballett-Intendant in der kommenden Saison.
Es war auf eine geschickte Entscheidung, sein Zürcher Erfolgsstück als erstes in Berlin zu präsentieren - eine geschickte Entscheidung auch, weil hier der Tanz nicht im Vordergrund steht.
Der Tanz hinterlässt nicht den stärksten Eindruck, sondern die exzellenten Gesangssolisten und vor allem der Rundfunkchor Berlin mit einer fantastischen Leistung. Ob im Pianissimo oder im Fortissimo, in den hochdramatischen urgewaltigen Gesangspassagen – der Rundfunkchor Berlin war schlichtweg fabelhaft. Allein schon deswegen sollte man diesen "Messa da Requiem"-Abend erleben.
Frank Schmid, rbbKultur