Volksbühne: Sardanapal © Apollonia T. Bitzan
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Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - "Sardanapal" nach Lord Byron

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Seine Schauspielkarriere startete Fabian Hinrichs einst an der Berliner Volksbühne. Mit Frank Castorf und René Pollesch hat er manch wüste Theaterschlacht geschlagen. Auch wenn er inzwischen zum viel beschäftigten und hochgelobten Film- und Fernsehstar avanciert ist, kommt er immer wieder gern an die Stätte seiner ersten Triumphe zurück. Jetzt sogar als Regisseur und Schauspieler in Personalunion. Aus den Tiefen der Theaterliteratur hat er ein fast vergessenes Werk ausgegraben und inszeniert an der Volksbühne ein von Lord Byron verfasstes Drama mit dem Titel "Sardanapal".

Eine historische Tragödie, veröffentlicht 1821, uraufgeführt 1834, also 10 Jahre nach dem Tod des Dichters und Erotomanen, der für seine Affären mit unzähligen Männern und Frauen berüchtigt und ein notorischer Abenteurer und glühender Verfechter verschiedener nationaler Freiheitsbestrebungen war.

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Sardanapal - bei Byron ein zögerlicher Schöngeist, ein Hamlet im orientalischen Gewand

Als Vorlage dient der gleichnamige Assyrerkönig Sardanapal, doch Byron verwandelt den prunksüchtigen und frauenfeindlichen Wüstling in einen zögerlichen Schöngeist, einen Hamlet im orientalischen Gewand, der sich nicht dazu aufraffen kann, den Putschisten, die ihn ermorden und sein Königreich vernichten wollen, mit dem Schwert entgegenzutreten. Statt zu handeln, sucht er lieber auf einem selbsterrichteten Scheiterhaufen den Feuertod.

Gewidmet hat Byron sein Drama, das weitgehend im Palast in Nineveh und im Harem des Sardanapal spielt, dem, wie er demütig notiert, "berühmten Goethe, dem ersten der lebenden Autoren (…) wagt ein Fremder eine Huldigung darzubringen, wie sie dem literarischen Vasallen gegenüber seinem Lehensherrn gebührt."

Ein Spagat zwischen Traum und Alptraum, Anspruch und Wirklichkeit

Ein Harem ist nicht gerade ein Spielort, den man an der Volksbühne in #MeToo-Zeiten erwartet, wo ein Intendant über frauenfeindliches Verhalten stolperte und seinen Hut nehmen musste. Aber Fabian Hinrichs interessiert sich für diesen Spagat zwischen Traum und Alptraum, Anspruch und Wirklichkeit. Zusammen mit Lilith Stangenberg feiert Hinrichs ein Fest der Fantasie - ohne Benny Claessens, denn der musste kurzfristig wegen Krankheit passen, so dass Hinrichs auch noch den Part von Claessens übernimmt und eine groteske Theater-Burleske initiiert: mit Slapstick-Nummern, viel Musik und Tanz.

Doch bevor Sardanapal zum entrückten Typen wird, der jede Form von Herrschaft und Unterdrückung ablehnt, sich selbst und sein Reich der toxisch verminten Männlichkeit abschaffen möchte, kann es nicht schaden, es noch mal richtig krachen zu lassen und sich zu amüsieren: Damit das schön laut und bunt wird, hat Hinrichs nicht nur Musiker Sir Henry verpflichtet, sondern auch viele junge Tänzer:innen, ein Jugendsinfonieorchester, dazu einen Dirigenten, zwei Choreografen und einen Stunt-Trainer, die das musikalisch-tänzerischen Theater-Tohuwabohu in eine passende Form gießen.

Hinrichs mutiert zu einem Apostel des Pop und zitiert zwischendurch Byron

In einem endlosen Vorspiel tanzt Hinrichs zu lautem Punk wilden Pogo und bollert gegen den geschlossenen Eisernen Vorhang. Wenn er sich hebt, hockt Lilith Stangenberg in einem Supermarkt missmutig als Kassiererin an der Kasse und fertigt die Kunden ab, bis der im dunklen Anzug auftauchende Hinrichs sie nach ihren Träumen fragt. Flugs wirft sie ihren Alltagstrott ab, wünscht sich in südliche Gefilde, suhlt sich im Sand suhlt und sagt Gedichte von Paul Celan auf, während sie von Musikern und Tänzern umzingelt wird. Hinrichs mutiert derweil zu einem Apostel des Pop, malträtiert sein Schlagzeug und singt, begleitet von Sir Henry am Klavier, von Sex & Drugs & Rock´n´Roll.

Damit wir nicht ganz vergessen, um wen es eigentlich gehen sollte, erinnert er zwischendurch an Lord Byron und zitiert ein paar seiner schönsten Gedichte und Gemeinplätze über Freiheit und Liebe herbei, die stärker sind als der Tod. Der richtige Zeitpunkt, die Potemkinschen Fassaden des Supermarkts abzuräumen, die Bühne in ein Märchen aus Tausendundeinenacht zu verwandeln, König Sardanapal und seine Gattin Myrrhe in orientalische Gewänder zu kleiden und in eine Fantasiewelt aus bunten Tüchern und sanften Kissen zu entlassen. Während tanzende Rebellen Schwerter schwingen, genießt Sardanapal die erotischen Spiele in seinem Harem, süffelt köstlichen Wein und lehnt es ab, zu fliehen. "Ich will keine Angst haben!", ruft er und nimmt noch schnell ein labendes Bad.

Dann ist die Party vorbei, und er stolziert aufrecht in den Flammentod. Ganz großes Kino. Fast möchte man eine Träne verdrücken, doch schon setzt das eben noch tieftraurige Orchester neu an und intoniert Abba: "Dancing Queen", da müssen alle mitsingen und mittanzen.

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Nahe an der Grenze zur Peinlichkeit

Viel Aufwand, wenig Ertrag. Eigentlich bräuchte man keinen Lord Byron, nicht seine ins Skurrile und Komische gewendete Tragödie, um einen ausgelassenen Kindergeburtstag mit Tanz und Gesang zu feiern und die Fete mit einigen nachdenklichen Sätzen über Krieg und Klimakatastrophe zu stören. Bei aller Fröhlichkeit und Freizügigkeit wirkt vieles angestrengt und unfreiwillig komisch, manches unausgegoren und nahe an der Grenze zur Peinlichkeit. Der Versuch, eine Bühnen-Leiche zu reanimieren, als Lebenselixier der Freiheit wieder zu entdecken und als subversive Flaschenpost in die Gegenwart zu schmuggeln, ist nicht viel mehr als ein Rohrkrepierer.

Frank Dietschreit, rbbKultur

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