Deutsches Theater/Schauspielhaus Zürich: Sonne, los jetzt! © Philip Frowein
Philip Frowein
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Deutsches Theater | Autor:innentheatertage 2023 - "Sonne, los jetzt!" von Elfriede Jelinek

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Der Regisseur Nicolas Stemann und Elfriede Jelinek sind alte Weggefährt:innen. Zehn Stücke und Uraufführungen der Literaturnobelpreisträgerin hat der noch amtierende Co-Intendant des Zürcher Schauspielhauses bereits auf die Bühne gebracht - zuletzt Jelineks aktuellen Text "Sonne, los jetzt!" zum Thema Klimawandel. Zu sehen ist dieses Stück nun als Gastspiel bei den Autor:innentheatertagen.

Stockdunkel ist es im Theaterraum. Dann eine Stimme, die ein Gedicht von T.S. Eliot spricht: "The world will not end with a bang, but with a whimper." Die Welt wird nicht mit einem Knall zu Grunde gehen, sondern mit einem Gewimmer.

Gastspiel Schauspielhaus Zürich Sonne, los jetzt! von Elfriede Jelinek Regie: Nicolas Stemann Bühne: Katrin Nottrodt Kostüme: Katrin Wolfermann Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel Video: Johanna Bajohr Licht: Basil von Breitenbach Dramaturgie: Bendix Fesefeldt. (Quelle: Philip Frowein / Schauspielhaus)
Bild: Philip Frowein / Schauspielhaus

Eine Sonnenstimme, die Unheil verkündet

Aus dem Schwarz senkt sich ein gigantischer Himmelskörper auf die Bühne herab. Eine weiße, gleißende Sonnenscheibe, ausgerechnet aus Eis, die in den Augen blendet. Dazu eine Stimme aus dem Off:

"Was ist das, was da durch den Raum jagt? Das bin doch nicht ich! Schauen wir mal nach. Darunter kräuselt sich die Flut. Auch Berge gibt es. Ja, ich bin es. Ich bin ein fixer Stern, bewegt sich da endlich was? Erde, Bewegung! Im Donnergang arbeite ich mich voran und werfe mit Flammen. Jeder Flammenwerfer schaut alt aus neben mir. Ich bin die Mutter, aus deren Hand ganze Länder den Tod empfangen."

"Es ist zu spät!"

Eine ganze Weile und immer wieder lauscht man dieser Sonnenstimme, die manchmal zynisch, manchmal gelangweilt, oft unbeteiligt von der Zerstörung spricht, die sie über diese kleine Erde und die Menschen bringt.

Ganz verkohlt sind die schon zu Beginn des Abends. Schwarze Kleidung, schwarze Masken vor dem Gesicht. Sie besprühen einander mit Wasser, als kühlte das ihre Körper. Und sie versuchen, sich das für jedes Wesen Undenkbare vorzustellen: die Unendlichkeit, das Immer, den Tod.

"Können Sie sich vorstellen, tot zu sein? Endlos?" flüstern sie.

Dann fällt der Vorhang. Die schwarzen Menschen treten davor und stimmen einen Abgesang auf die Welt an: "Es ist zu spät, es ist zu spät!"

Hoffnungsloser, deprimierender war ein Jelinek-Text wohl nie

Ein ungeheuer bedrückender und gleichzeitig ästhetisch beeindruckender Beginn. Hoffnungsloser, deprimierender war ein Jelinek-Text wohl nie – und auch keine der vielen Jelinek-Uraufführungen von Nicolas Stemann. Der Abend ist ein einziges Requiem, ein Totenlied auf die Welt, die im Klimawandel untergehen wird.

Stemann ist natürlich versierter Regisseur genug, um diese Apokalypse mit viel Bombast und Unterhaltung zu konterkarieren. Etwa, wenn drei Schauspielerinnen in Rokoko-Kostümen und mit E-Gitarren "Highway to Hell" schmettern, während die vierte als Sonnenkönig verkleidet vor ihnen herumspringt.

Überhaupt wird hier einiges aufgefahren an Kostümwechseln, Musik, Requisiten – die Regieeinfälle purzeln nur so durcheinander. Vielen Szenen haftet dennoch etwas Bitteres an. Wenn sich Alicia Aumüller im Bikini am Strand in der Sonne braten lässt und der glühende Planet das eher interessiert und befremdet beobachtet.

Sonne, los jetzt!
Bild: Philip Frowein / Schauspielhaus Zürich

Verdrängung und Selbstanklage

Das Ich, das hier in Elfriede Jelineks Worten spricht, ist zum einen die Sonne. Also eine Stimme, die mit größtmöglicher Distanz auf das lächerliche Erden-Treiben schaut – und all das schon vor sich sieht, was wir nach wie vor zu verdrängen suchen. Zum anderen ist es ein Text, der nichts als "Ich" sagt. Er ist auch eine Selbstanklage, eine Infragestellung des menschlichen Ichs:

"Alles dreht sich um mich und meine Werke. Ich bin der Sonnenmann. Jeder Mann ein Gott. Wenn ich will, kann ich auch eine Frau sein."

Dieser Weltuntergang ist ein großes Spektakel

Im Laufe des Abends geht die Welt dann nicht unter, sondern sie schmilzt zu einer großen Pfütze auf der Bühne. Das Sonnengestirn hat sich zu einem blauen Erdball gefärbt und ist dann in sich zusammengefallen. Letzte Eisfetzen hängen noch in der Luft, während die Schauspieler:innen das Aussterben der Arten und des Menschen verkünden, 2058 wird es anstehen.

Eine düstere, effektvolle Inszenierung, die ewig um denselben Untergangsgedanken kreist und sich doch nicht von der Stelle bewegt. Ein großes Spektakel ist dieser Weltuntergang – dem man, das ist das Dilemma, doch ziemlich fasziniert zusieht.

Barbara Behrendt, rbbKultur

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