Florentina Holzinger & Team: KRANETUEDE – (Etude for a crane) © Mayra Wallraff
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Sophiensaele | Seebad Friedrichshagen - Florentina Holzinger: "Kranetude – (Etude for a crane)"

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In das Seebad Friedrichshagen, an den Müggelsee, hat die Choreografin Florentina Holzinger für ihr neues Stück "Kranetude" eingeladen. Florentina Holzinger, mit ihren oft spektakulären Stücken, an denen Frauen an Seilen oder an Haken aufgehängt durch die Luft fliegen oder auf Motorrädern oder Helikopter reiten, ist derzeit die angesagte Choreografin – erst recht nach ihren beiden Einladungen zum Berliner Theatertreffen.

Diese "Kranetude" findet am und im und unter und über Wasser statt. Und das Publikum gehört zu diesem Happening dazu. Es ist kurios, das Volksbühne-Sophiensaele-Publikum in der kleinen Badebucht des schnuckeligen Seebads am Strand sitzen zu sehen, wie bei einem Picknick-Ausflug der Kunstszene ins Vorort-Strandbad.

Florentina Holzinger & Team: KRANETUEDE – (Etude for a crane) © Mayra Wallraff
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"Leisure & Pleasure"

Diese Etude, wie Holzinger ihre experimentellen Ausflüge in den öffentlichen Raum nennt, gehört zum Saisonabschlussfestival der Sophiensaele "Leisure & Pleasure". Und Freizeit wie Vergnügen gibt’s hier auch, bei dieser kurzen Performance, die wie eine Fortsetzung ihrer Wassershow "Ophelia’s got Talent" an der Volksbühne wirkt, letztes Jahr zum Theaterreffen eingeladen. Nur, dass ihre Wassernymphen hier zumeist überm Wasser schweben – nämlich aufgehängt an einer kreisrunden Bühnen-Traverse, die von einem Schwimmkran langsam in eine Höhe von ca. 15 Meter gezogen wird.

Spiel mit Gefahr, Lust, Schmerz und Poesie

Was gefährlich aussieht, ist es vermutlich nicht, denn die Performerinnen hängen an Sicherheitsgurten, die um die Hüften geschnallt sind. Aber das Spiel mit Gefahr und Schmerz und Lust und Poesie gehört bei Holzinger zum Üblichen. Das macht ihre Stücke auch so beliebt, neben der Tatsache, dass sie auch mal schlicht unterhalten will, die Theorien von Performance, Bühnenkunst und Feminismus benutzt und aushebelt. Man kann bei ihr ins Grübeln kommen oder auch schlicht Spaß haben.

Dass alles Normative in jeder Hinsicht schlichtweg langweilig ist, scheint sie sich auch diesmal gedacht zu haben und auch diesmal betreibt sie wieder einen enormen Technik-Aufwand.

Tauchgang, Schwimmkran, Water-Hoverboarding

Bevor die Performerinnen vom Schwimmkran hochgezogen werden, tauchen sie erst einmal zur Bühnentraverse, denn die hängt fernab vom Ufer anfangs noch unter Wasser und das Anlegen der Taucherausrüstung auf dem Steg gehört auch schon zur Show. Und dann inszeniert Holzinger mit zwei wie alle anderen nackten Frauen noch eine Water-Hoverboarding-Show. Water-Hoverboarding ist eine neue Trendsportart, bei der man auf schmalen Boards steht. Über einen Schlauch wird Wasser angesaugt und dann wieder herausgepresst, so dass man bis zu 10 Meter über dem Wasser auf Fontänen zu schweben scheint. Technikaffiner Extremsport, das ist auch seit langem schon ein Thema von Florentina Holzinger.

Schwerelosigkeit – Traum vom Fliegen

Bei all dem Technikaufwand geht es hier jedoch ganz einfach um den Traum von Schwerelosigkeit und Fliegen, um die Überwindung der Schwerkraft. Im Tanz ist die Schwerkraft die ultimative Grenze, etwa bei den Schwebesprüngen und Hebefiguren im Ballett, die möglichst anstrengungsfrei aussehen sollen, obwohl viel Kraft und Training, ein Zurichten der Körper dafür nötig sind.

Holzingers Tänzerinnen hängen in ihren Gurten wie Fleischsäcke an Haken UND sie schweben graziös in der Luft, vollführen Figuren wie im Wasserballett, beim Synchronschwimmen, das ja auch nicht nach Anstrengung aussehen darf. Sie hängen kopfunter, die Beine gestreckt oder angezogen, bringen sich in waagerechte Schwebehaltung und fassen sich im Kreis an den Händen, als wären sie an Fallschirmen aus einem Flugzeug gesprungen und würden jetzt im Kreis fliegen – noch so eine Anspielung des Filmfans Holzinger.

Florentina Holzinger & Team: KRANETUEDE – (Etude for a crane) © Mayra Wallraff
Bild: Mayra Wallraff

Wassernixen können endlich fliegen

Florentina Holzingers Wassernixen können also endlich fliegen. Sie zeigt zwar kommentarlos trocken den ganzen Technikaufwand, der dafür nötig ist, aber sie bringt auch die gesamte Kunstgeschichte des Wassernymphen-Meerjungfrauen-Motivs in der Malerei oder im Ballett zu einem Schlusspunkt. Und während die vier Percussionistinnen an ihren Schlagzeugen am Ufer einen Höllenlärm machen, weist Holzinger gleich noch alle Erwartungen an ihre Bühnenkunst zurück.

Unterlaufen aller Erwartungen

Manche mögen vielleicht eine Art Wasserspringen erwartet haben, mit mehr oder minder eleganten Sprüngen vom Kran ins Wasser oder erwarten, dass die Performerinnen irgendwann in den See stürzen – aber das geschieht nicht, der Kran setzt sie einfach auf dem Steg ab und nach 45 Minuten ist die Show zu Ende.

Holzinger unterläuft hier also auch die Happening- und Spektakel-Erwartungen an sie, als die Choreografin, die mit Stunts in Schmerz-Zonen geht, die Horror-Splatter-Sex-Gewalt-Kampfkunst-Elemente nutzt und mit Aktionismus und Provokation in Schockbereiche vordringt.

All das geschieht nicht. Holzinger arbeitet an der Illusion, den Körper vom Boden loskriegen zu können und sie bedient mit dieser kurzen, amüsanten Etude, diesem Spiel mit Bedeutsamkeiten dann doch auch die Illusionsmaschine Theater.

Frank Schmid, rbbKultur

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