Szene aus "MÄRCHEN IM GRAND-HOTEL" am Staatstheater Cottbus
Bernd Schönberger
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Staatstheater Cottbus - "Märchen im Grand-Hotel"

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Am Staatstheater Cottbus ist ganz schön viel Betrieb! Kaum hat Intendant Stephan Märki verkündet, er wolle seinen 2025 auslaufenden Vertrag aus Altersgründen nicht verlängern, sondern lieber das von ihm wieder auf Kurs gebrachte Haus einem jüngeren Kollegen übergeben und für einen geordneten Übergang sorgen, stand am Wochenende auch schon wieder die nächste Premiere auf dem Spielpan: "Märchen im Grand-Hotel", eine "Lustspiel-Operette" von Paul Abraham.

Das "Märchen im Grand-Hotel" wurde 1934 in Wien uraufgeführt, kam aber erst 2017 auf eine deutsche Bühne, nämlich auf die der Komischen Oper Berlin. Paul Abraham war vergessen und aus der Mode, auch bei der Wiederentdeckung durch Barrie Kosky war die "Lustspiel-Operette" zunächst als konzertante Aufführung zu erleben, die erste szenische Inszenierung in Deutschland fand erst 2018 in Mainz statt, danach 2021 in Nürnberg. Die Nürnberger Inszenierung ist jetzt Vorlage für die Cottbus Aufführung: Otto Pichler war schon in Nürnberg für Regie und Choreografie verantwortlich, auch Bühne und Kostüme wurden für Cottbus recycelt.

Staatstheater Cottbus: Märchen im Grand-Hotel © Bernd Schönberger
Bild: Bernd Schönberger

Maximaler Körpereinsatz und rasantes Tempo

Dass Pichler früher mit Kosky an der Komischen Oper gearbeitet hat, prägt auch seine Sicht auf die launige Musik, die schmissigen Tanzeinlagen und die überdreht und immer leicht angeschrägten Songs. Pichler setzt auf maximalen Körpereinsatz und rasantes Tempo: die "Lustspiel-Operette" wird bei ihm zum modernen Musical, das den Sound und die Hektik der Wilden Zwanziger aufnimmt und eine völlig hirnrissige Story präsentiert, die - mit einem Vor- und einem Nachspiel in Hollywood - in einem Grand-Hotel in Cannes angesiedelt ist.

"Abraham-Renaissance"

Dass die heitere Satire nicht wie "Die Blume von Hawai" oder "Ball im Savoy" in Berlin, sondern in Wien aufgeführt wurde, lag daran, dass der in Ungarn geborene Komponist Paul Abraham von den Nazis als Jude verfolgt und ins Exil vertrieben wurde: über Budapest, Wien und Paris flüchte er immer weiter, bis nach New York. Als er 1957 gesundheitlich zerrüttet nach Deutschland zurückkehrte und in einer Wahnwelt bis zum Tod 1960 dahindämmerte, kannte ihn fast niemand mehr, ohne die von Kosky eingeleitete Abraham-Renaissance wäre das wohl auch so geblieben.

Eine Welt des schönen Scheins

Das Grand-Hotel ist eine Welt des schönen Scheins, hier trifft die Traumfabrik von Hollywood auf die Illusionen des verarmten Hochadels, die Geschäftstüchtigkeit von Karrieristen auf die Sehnsucht von Liebenden. Die aus ihrem Land vertriebene spanische Infantin Isabella ist mit ihrem Gefolge im Grand-Hotel abgestiegen, darunter auch ihr Verlobter, Prinz Andreas Stephan. Auf der Suche nach neuen Filmstoffen, gespielt von echten Adligen, hat es auch Marylou, die Tochter des Hollywood-Moguls Sam Makintosh, an die Côte d’Azu verschlagen.

Die Infantin wehrt sich lange gegen das Filmangebot, aber sie ist pleite und ihre glitzernde Halskette, deren Verkauf ihr finanziell Luft verschaffen soll, stellt sich als Fälschung heraus. Dass sich der tollpatschige Zimmerkellner Albert unsterblich in die stolze Isabella verknallt, ist zwar reizend, kann die materiellen Probleme der Infantin aber auch nicht lösen.

Staatstheater Cottbus: Märchen im Grand-Hotel © Bernd Schönberger
Bild: Bernd Schönberger

Alle Figuren führen ein geborgtes Leben, spielen ein doppeltes Spiel: Kellner Albert ist in Wahrheit der Sohn des reichen Hotelbesitzers; die neue Kammerzofe, die kokett mit Staubwedel und Teppichklopfer hantiert, ist niemand anderes als Marylou, die sich auf eine Affäre mit dem Prinzen einlässt und sich bei der Infantin einschleicht, um sie für ihr Filmprojekt zu gewinnen.

Beste Voraussetzungen für eine turbulente Komödie, die den überkandidelten Filmzirkus auf den Arm nimmt, fröhlich-freche Anleihen bei ausgeleierten King-Kong-Märchen nimmt, die Tochter des Hollywood-Moguls mit Zylinder und Smoking auftreten lässt und in eine Doppelgängerin von Marlene Dietrich verwandelt.

Eine kuriose musikalische Melange

Die Musik ist eine kuriose Melange aus ungarischer Geigenseligkeit und seligem Wiener Walzer, verrührt mit melancholischen Blues-Phrasen und morbiden Tango-Rhythmen, verzuckert mit lieblichen Chansons und flotten Jazz-Facetten, langsamem Foxtrott- und schnellem Charleston. Wenn der als Zimmerkellner verkleidete Hotelbesitzer-Sohn Albert und die als Kammerzofe verkleidete Marlene-Dietrich-Widergängerin Marylou zur Entspannung einen "Drink in der Jonny-Bar" nehmen und ein mit alkoholischer Blödelei und sexuellem Begehren aufgeladenes Tänzchen wagen, klingt das schön schräg. Wenn Liebesherzen höher schlagen und der Kitsch ein bisschen klebrig wird, dann verliert sich Infantin Isabella in nostalgischen Erinnerungen und Anne Martha Schuitemaker entlockt ihrer Goldkehle "Ein Märchen aus traumschöner Nacht".

Staatstheater Cottbus: Märchen im Grand-Hotel © Bernd Schönberger
Bild: Bernd Schönberger

Unpolitische Naivität trifft auf frauenfeindliche Attitüde

Das Premierenpublikum amüsierte sich wie Bolle, spendete immer wieder herzhaften Zwischenapplaus und mochte die Akteure gar nicht mehr von der Bühne lassen. Man kann es aber auch anders sehen und beurteilen: Im zweiten Teil flacht das Tempo merklich ab, verliert sich die dünne Musical-Suppe in läppische Spielchen, müde Witzchen und ausgeleierte Regie-Mätzchen. Immer häufiger müssen die Damen in schwarzen Strapsen über die Bühne flanieren, sich von Macho-Männern den Po betatschen lassen, lüstern gurren und sich anhören, wie notgeile Männer singend darüber philosophieren, dass man sich abends beim Stadtbummel sputen muss, sonst seien "die besten Mädels schon besetzt".

Das übergriffige Frauenbild der angestaubten "Lustspiel-Operette" wird nicht in Frage gestellt, sondern eher noch frisch herausgeputzt. Die Inszenierung hat keinen doppelten Boden, zieht keine politische Metaebene ins heitere Spiel ein, deutet nirgendwo an, dass es ein Tanz auf dem Vulkan ist, die Nazis sich anschicken, die schöne Scheinwelt zu zerstören, Juden zu verfolgen und Künstler wie Paul Abraham ins Exil zu jagen.

Die unpolitische Naivität und frauenfeindliche Attitüde hinterlassen bei mir einen schalen Geschmack und schmälern erheblich die manchmal sogar herausragenden Gesangskünste und tolldreisten Tanzdarbietungen. Schade.

Frank Dietschreit, rbbKultur

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