Volksbühne: Mein Gott, Herr Pfarrer! – mit enny Claessens, Sophie Rois, Inga Busch und Christine Groß; © Gordon Welters
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Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz - "Mein Gott, Herr Pfarrer!" von René Pollesch

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Nach langer Pause spielt Sophie Rois wieder an der Volksbühne unter der Regie ihres alten Weggefährten René Pollesch. In seinem Stück "Mein Gott, Herr Pfarrer!" geht es um das Christentum und seine Theatralik. Barbara Behrendt hat sich die Inszenierung angesehen.

Es sind ungewöhnliche Töne für eine Pollesch-Inszenierung: Immer wieder tritt der Mädchenchor der Singakademie zu Berlin auf, in Kutten gehüllt wie Betschwestern, und stimmt einen christlichen Choral an, zuletzt sogar ein Kyrie Eleison. Schön klingt das.

In der Einsamkeit zweifelt selbst ein Messias am Glauben

Religiös aufgeladen ist bereits die erste Szene. Da tritt Sophie Rois im grauen Büßergewand auf die malerisch gelb umrahmte Bühne, in der Hand eine leuchtende Kerze. Mit Benny Claessens in der Rolle eines gewissen Pastor Ericsson spricht sie an der Bühnenkante sitzend über die psychischen Leiden Christi am Kreuz. Am Glauben zweifelt er, von Gott und seinen Jüngern fühlt er sich verlassen: "Und am Schluss ist Christus ganz allein. Keiner hört ihm zu. Ich hätte nicht gedacht, dass ich einmal so einsam sein werde. Und Jesus war schon längst verlassen. Also nicht erst am Kreuz. Sagte er nicht: ,Bleibet hier während ich dort hingehe und bete, meine Seele ist zutiefst betrübt bis in den Tod. Bleibt und wacht mit mir.’ Und sie blieben alle nicht. Und sie wachten auch nicht."

Trotz Erlösung wirkt keiner erlöst

Von der Frage nach Erlösung, nach der Einsamkeit Jesu, geht es zur Hoffnungslosigkeit des Menschen an sich: "Aber Pastor Ericsson, wenn es sowas wie Erlösung gibt – warum sieht dann da draußen niemand erlöst aus? Aber es ist ein interessanter Gedanke: Die Hoffnungslosigkeit löst sich nicht auf, sondern du akzeptierst sie als dein Leben. Und damit wird sie etwas Lebendiges."

Sophie Rois' Figur, die hier mit dem Pastor an der Rampe sitzt, stellt sich als Karin Bergman vor. Und spätestens hier fällt für viele der Groschen: René Pollesch arbeitet sich an diesem Abend nicht nur am christlichen Glauben ab, sondern zu größeren Teilen am Leben und Werk von Ingmar Bergman. Der Film- und Theaterregisseur ist bekanntlich in einer furchtbar strengen, protestantischen Pfarrersfamilie aufgewachsen, Karin war der Name seiner Mutter. Und Pastor Ericsson heißt der Protagonist im zweiten Teil von Bergmans Glaubenstrilogie "Licht im Winter" aus dem Jahr 1962.

Zweitausend Jahre Christentum und dann die Steuerfahndung

Ähnlich wie in Polleschs Stück wird der Pastor darin von einem verzweifelten Gemeindemitglied, im Film ist es ein Mann, besucht. Pastor Ericsson kann ihn nicht nur nicht vom Selbstmord abbringen, sondern beginnt selbst, am Glauben zu zweifeln. Auf der Bühne werden ganze Dialoge aus seinen Filmen gesprochen.

Stringenz darf man von Pollesch selbstverständlich nicht erwarten. Nach den ersten konzentrierten Gesprächen über 2.000 Jahre Christentum (von Rois und Claessens mit schönster Leidensmiene gesprochen) löst sich die Szenerie in Traumsequenzen auf, kombiniert mit biografischen Details Bergmans – etwa, als die Steuerfahndung vor der Tür steht.

Der Traum von Gott als böser Spinne

Das hilft inhaltlich natürlich kein Deut weiter, doch der Abend gefällt sich nun einmal sehr darin, neben seinem eigentlichen Glaubensthema Duftmarken für Bergman-Insider zu setzen. Wer die Anspielungen nicht versteht, hat Pech gehabt. Ob Ausflüge ans Meer, Familienstreitereien am Küchentisch oder der Traum von Gott, der als böse Spinne erscheint (man kriecht derweil durch eine übergroße Windmaschine) – alles hier ist Bergmans Leben oder Werk entliehen.

Und so mäandern Inga Busch, Christine Groß, Benny Claessens und im Zentrum Sophie Rois zwischen Traum, Leben und Drehbuch und geben den düsteren Bergman-Sätzen einen leichten, komödiantischen Ton: "Aber Pastor Ericsson! Sie sind hier in meinem Traum!"

Pollesch-Spektakel kombiniert mit Bergmanscher Seelenerforschung

Dass Sophie Rois mit diesem Abend an die Volksbühne zurückkehrt, ist natürlich ebenfalls traumhaft. Pollesch selbst macht es sich in seinem neuesten Stück allerdings ein bisschen zu einfach. Die Frage nach Glaube, Zweifel, existenzieller Einsamkeit stellt er mit Bergmans Sätzen – und wischt sie mit Bergman-Anekdoten wieder flott zur Seite, ohne, dass die Nummern zünden würden. So richtig finden sie nicht zusammen: das boulevardeske Pollesch-Potpourri und die protestantisch-dunkle Bergmansche Seelenerkundung.

Barbara Behrendt, rbbKultur

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