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Reicht Physiotherapie, brauche ich eine Stoßwellen-Therapie oder muss ich meine schmerzhafte Kalkschulter operieren lassen? Diese Entscheidung ist sehr individuell.
Das Schulterhauptgelenk ist eines der wichtigsten Gelenke des menschlichen Körpers. Fast ein Dutzend verschiedener Muskeln, viele Sehnen und Bänder treffen hier aufeinander. Bewegungen sind in fast alle Richtungen möglich: Wir können den Arm kreisen, zur Seite bewegen oder abwinkeln. Doch diese Beweglichkeit hat ihren Preis: Verletzungen und Beschwerden des Schultergelenks sind häufig. Und nicht immer ist klar, woher sie rühren.
Ob beim Haare kämmen oder Wäsche aufhängen – Schmerzen bei Überkopfbewegungen sprechen für eine Kalkschulter. Experten verwenden hierfür den Begriff der tendinosis calcarea. Dabei ist nicht das Schultergelenk verkalkt, sondern die Sehnen, die dort entlangziehen. Betroffen ist häufig die Sehne des Musculus supraspinatus, des Obergrätenmuskels. Die Sehnen haben schon unter normalen Umständen zwischen dem Schulterdach und dem Oberarmkopf nur wenig Platz. Lagert sich hier noch Kalk ab, können die Sehnen dadurch gereizt werden und verdicken. Sehnen und Muskeln werden eingeengt, es kommt zu starken Schmerzen. Die verkalkten, zunehmend starren Sehnen üben immer mehr Druck auf die Schleimbeutel des Gelenks aus. Oft brechen die kristallinen Kalkstrukturen in den Schulterschleimbeutel ein. Unbehandelt kann die Entzündung auf die Kapsel übergehen. Dann kann Schulter sogar vorübergehend versteifen.
Ursache ungeklärt
Die Auslöser für eine Kalkschulter sind nicht genau geklärt; die häufigste Erklärung für die Beschwerden ist eine Minderdurchblutung der muskulären Rotatorenmanschette aufgrund von mangelnder Bewegung. Frauen und Raucher gelten als stärker gefährdet; die Mehrzahl der Patienten ist 40 bis 50 Jahre alt. Typischerweise nehmen die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen mit den Jahren zu. Typische Krankheitszeichen für eine Kalkschulter sind:
• Schmerzen beim Liegen auf der betroffenen Seite
• Belastungsschmerz
• Schmerzen nach Überkopfarbeit
• plötzlicher Schulterschmerz ohne Auslöser
• Bewegungsunfähigkeit des Armes (Pseudoparalyse)
Die Diagnose der Kalkschulter erfolgt klinisch anhand des Beschwerdebildes, unterstützt von Röntgen und/oder Ultraschall.
Konservative Therapien
Häufig bildet sich die Kalkschulter spontan zurück: Die Kalkdepots lösen sich nach Monaten bis Jahren einfach wieder auf, ohne dass man hier medizinisch eingreifen muss.
Bei anhaltenden Beschwerden können Spezialisten zwischen verschiedenen Therapieansätzen wählen. Oft lindern konservative Verfahren in der Kombination die Schmerzen:
- Muskelaufbau,
- schmerzlindernde Maßnahmen wie Ibuprofen-Tabletten oder -Salbe,
- Kinesiotape
- Eigenbluttherapie oder
- eine Stoßwellentherapie.
Viele der angebotenen Verfahren sind keine Kassenleistungen und müssen selbst bezahlt werden. Gelegentlich lässt sich erst durch eine Operation das Problem in den Griff kriegen.
Physiotherapie und ESWT
Mittels Physiotherapie gelingt es, den Oberarmkopf besser zu zentrieren, so dass die Sehnen weniger "klemmen". Allerdings beseitigt die Behandlung nicht den Kalk.
Das kann durch eine sogenannte extrakorporale Stoßwellentherapie (ESWT) gelingen. Der Kalk wird mit raschen, heftigen Schallstößen "beschossen". Die Schallwellen sollen biologische Heilungsprozesse aktivieren, um den Abtransport des Kalkes zu beschleunigen. Nervenfasern werden stimuliert, die den Schmerz verringern, darüber hinaus werden körpereigene entzündungshemmende Stoffe ausgeschüttet.
Die ESWT kann einigen Studien zufolge bei einer Kalkschulter die Beschwerden lindern: Die Patienten hatten im Vergleich zu einer Scheintherapie nach der Therapie weniger Schmerzen, konnten ihre Schulter besser bewegen und berichteten über eine verbesserte Alltagsfunktion.
Allerdings gibt es kein einheitliches Therapieschema, die Anzahl der Sitzungen, die Verwendung örtlicher Betäubungsmittel und die Art der Stoßwellengenerierung variiert. Daher ist der Therapienutzen schwer quantifizierbar – der IGeL-Monitor bewertet den Nutzen des Verfahrens mit unklar. Die ESWT wird nicht von den Kassen übernommen. In der Regel kostet eine Sitzung als fokussierte ESWT zwischen knapp 100 und 200 Euro, als radiale ESWT zwischen 15 und 35 Euro. Die Therapie kann mit und ohne lokale Betäubung durchgeführt werden und ist recht schmerzhaft. Danach können Blutergüsse und Hautrötungen entstehen.
Operativer Eingriff
Wenn Krankengymnastik und ESWL keine Linderung bringen, können Ärzte den Kalk operativ entfernen. Für eine Operation der Kalkschulter sprechen:
• Konservative Therapien und Abwarten führen nicht zur Besserung
• Patienten haben starke Schmerzen
• Kalkherd > 1 cm
• Kalkherd hat eine harte Konsistenz
Der Eingriff wird minimal-invasiv per Gelenkspiegelung (Arthroskopie) durchgeführt. Der Operateur inspiziert zunächst mit einer kleinen Kamera die Muskeln, den Knorpel, die Sehnen und das Gelenk einschließlich des Gelenkspaltes. Dann entfernt er die Kalkdepots und schafft Platz, so dass sich die Sehnen wieder besser bewegen können.
Nach dem operativen Eingriff sollte die Schulter für etwa drei Wochen geschont werden. Krankengymnastik sorgt in dieser Zeit dafür, dass die Schulter weiter beweglich bleibt.
Zu den möglichen Komplikationen einer Arthroskopie des Schultergelenks gehören Wundheilungsstörungen, Thrombosen und in sehr seltenen Fällen Nervenverletzungen. Insgesamt tritt bei etwa einer von 100 Operationen eine Komplikation auf. Zudem entwickelt etwa einer von 100 Operierten eine Schultersteife. Das Risiko ist für Frauen und Menschen mit Diabetes mellitus höher.
Mikroinvasive Therapie oder Nadel-Lavage
Eine Alternative zur Arthroskopie ist die sogenannte mikroinvasive Therapie oder Nadel-Lavage. Hierbei sticht der Orthopäde unter örtlicher Betäubung und Ultraschallkontrolle eine spezielle Nadel in das Kalkdepot. Damit löst er den Kalkherd mechanisch und saugt ihn über eine Kanüle ab. Die Therapie dauert maximal zehn Minuten. Der Erfolg lässt sich auf dem Röntgenbild kontrollieren. Der Arm ist schnell wieder belastbar. Die Patienten müssen die drei Sitzungen selbst zahlen, die für eine erfolgreiche Behandlung im Schnitt benötigt werden. Dafür fallen Kosten in Höhe von rund 300 bis 500 Euro an.
Wichtig ist, dass der Operateur möglichst viel Erfahrung hat, damit es nach dem Eingriff nicht zu Verletzungen oder Infektionen im Schultergelenk kommt. Sinnvoll ist es, sich vor einem Eingriff in der Klinik der Wahl über Fallzahlen zu erkundigen, also die Zahl der im Jahr mit dieser Methode behandelten Patienten – und eine Klinik aufzusuchen, die auf die Behandlung von Schulterschmerzen spezialisiert ist.
Infotext: Constanze Löffler
Filmbeitrag: Thomas Förster / Anna Schubert