8 Uhr morgens in Berlin-Tiergarten: Ein mustergültiger Herbsttag - so viel Gutes kann man über ihn sagen. Leichter Nebel, es nieselt. Zwei Fahrräder rollen aus Richtung Siegessäule schnell heran: Es sind Gerhard Blum und seine Tochter Katharina - die beiden laufen heute zusammen den Berlin-Marathon! Katharina ist dafür extra aus München gekommen. Am Morgen ging es dann von Heidesee per Auto nach Berlin-Charlottenburg und die letzten Meter mit dem Rad zur Startzone. 

Die Startnummern sitzen - es kann losgehen! Ersteres war übrigens gar nicht so leicht, denn ausgerechnet die Startnummer hatte Katharina vergessen - also nochmal ein bisschen Organisationsstress am frühen Morgen. Aber Zeit für ein paar Selfies muss doch noch sein! Auf jeden Fall für Frau bzw. Mutter Ines, die heute nicht beim Marathon dabei sein kann, weil sie arbeiten muss.

Hinter der Startlinie warten Fans und Angehörige gespannt im leichten Nebel auf den Startschuss. Bis wenige Tage vor dem Marathon war nicht klar, ob Gerhard Blum auch am Rand würde stehen müssen: Im Urlaub war er am Strand auf einen versteckten Ast getreten. "Das hat mich so geärgert, es war wirklich nichts zu sehen", erzählt Gerhard einige Tage vor dem Marathon. Folge: Eine größere Wunde an der linken Fußsohle.

"Mein Arzt hat am Freitag noch gesagt: 'Damit können Sie nicht laufen!'", sagt Gerhard Blum. Freitag, da war er nochmal bei der Dialyse - ein Muss vor dem Marathon. Das Problem bei seiner Verletzung: die Lage am Fuß und der Umstand, dass die bei Dialysepatienten ohnehin langsamer heilen. Doch Gerhard war überzeugt: Es geht. Und jetzt ist es soweit: Startschuss! 

Gerhard Blum und Tochter Katharina sind bei der ersten Läuferwelle im Block E dabei. Die Temperatur an diesem Morgen liegt bei etwa 12 Grad. "Für mich zu kalt - wenn's nach mir geht gilt: Je wärmer desto besser. Aber es geht mir sehr gut," sagt Gerhard Blum nach den ersten rund 600 Metern. 

Dann lacht er: "Aber hab' ja noch nichts gemacht!" Jetzt warten knapp 42 Kilometer. Gerhard Blum möchte sie in unter sechs Stunden schaffen - das war zumindest das ursprüngliche Ziel. Ob das auch mit der Fußverletzung klappt? Auf jeden Fall ist er voll motiviert, besonders weil Tochter Katharina, die sehr Marathonerfahren ist und auch schneller laufen könnte heute beschlossen hat mit ihm zusammen, neben ihm, zu laufen.

Immer wieder beginnt es zu regnen. Als Gerhard Blum die JVA in Moabit erreicht, sind es dicke Tropfen, die auf die Marathonläufer fallen. Zwischen Kilometer fünf und sechs ist Gerhard Blum trotzdem schon wärmer geworden, die Jacke ist schon mal auf, die Stimmung gut.

Und was sagen die Beine? "Na, die Oberschenkelmuskulatur zieht ein bisschen. Liegt an der Temperatur, das war eigentlich schon so, seit ich die Hose in der Startzone gewechselt habe - ich hätte heute eine lange Laufhose anziehen sollen", wird Gerhard Blum später sagen. Aber es geht weiter - Aufgeben ist keine Option.

Kilometer 24, Innsbrucker Platz. Gut die Hälfte haben die geschafft, die hier durchkommen. Für viele wird es jetzt aber richtig hart - umso größer der Streckenansporn! Hier wird so laut geklatscht, dass man sein eigenes Wort nicht mehr versteht. 

Um kurz nach 13 Uhr kommen Gerhard Blum und seine Tochter hier durch. Der erste Streckenteil hat sichtbar Spuren hinterlassen. "Die Anspannung in den Beinen ist immer noch da, aber es geht", sagt Gerhard Blum. 

Inzwischen regnet es wieder. Gerhard Blum muss kämpfen, aber das will er auch: "Meine Tochter motiviert mich und die vielen Menschen an der Strecke! Ohne meine Tochter würde ich heute vielleicht nicht durchhalten," sagt er. 

Aber auch die Menge an der Strecke gibt alles: Trommeln, Musik, Klatschen, Gesang - Gerhard und Katharina genießen den Trubel, winken Marathonfans, die an der Strecke leben und Lautsprecher ins Fenster gestellt haben. Noch knapp 20 Kilometer…

…dann winkt die Zielgerade! Um die sechs Stunden zu schaffen, müsste  Gerhard Blum hier vor 15.15 Uhr vorbeikommen. Wir warten gespannt, der Strom der Läufer reißt einfach nicht ab - Fans aus aller Welt jubeln Landsmänner und -frauen an. Aber wo bleibt Gerhard Blum? Wird es am Ende doch nur der Besenwagen sein, der ihn ins Ziel bringt?

Nein! Da ist er: Gerhard Blum und Tochter Katharina machen sich strahlend an die letzten paar Hundert Meter. Es ist kurz vor 16 Uhr, die sechs Stunden hat Gerhard Blum nicht mehr geschafft.

Aber das ist jetzt auch egal - Gerhard und Katharina haben die Strecke geschafft! Noch dazu ist es endlich einmal trocken. Gleich winkt die bekannte Marathonmedaille - und natürlich auch die Familie! Denn auch Gerhards zweite Tochter ist samt Lebensgefährte an der Strecke dabei gewesen und wartet gleich hinter dem Ziel.

Geschafft! 6 Stunden und 41 Minuten hat Gerhard Blum gebraucht - nicht seine Traumzeit, aber er ist stolz es geschafft zu haben. Jetzt steht er ganz entspannt am Carillon…

…der Glockenturm ist der traditionelle Treffpunkt für die Familie und die Medaille strahlt mit dem Turm um die Wette. Pünktlich zum Marathonende kommt auch die Sonne raus!

Stolz sind am Ende alle auf Gerhard und Katharina. Er und seine beiden Töchter sind alle Marathonerfahren. "Beide sind bestimmt schon fünf Mal den Berlinmarathon gelaufen. Während die Familie alkoholfreies Bier trinkt, resümiert Gerhard: "Ich habe deutlich weniger getrunken heute, als angedacht - es war einfach zu kühl. Katharina - wie viel Liter waren es? Zwei?" "Nee, gut 1,5 Liter. Die Flasche hier ist noch voll." Trotzdem fühlt sich Gerhard fit und sicher - monatelang hat er seinen Wasserbedarf in verschiedenen Situationen ermittelt. Aber jetzt geht's um was anderes: "Wir werden gleich erstmal 'Mittagessen' gehen," lacht er. Es war doch ein perfekter Herbsttag!

Übrigens: Wie lange seine Laufschuhe so durchhalten? Rund 1000 Kilometer, sagt Gerhard Blum. Die hier haben den Marathon geschafft und werden ihn noch eine Weile tragen - vielleicht auch wieder bei einem Marathon.