Hand einer Medizinerin hält Büschel Salatblätter (Bild: imago/Panthermedia)
Bild: imago images/Panthermedia

Interview mit der Diabetologin - Prädiabetes als Vorbote von Diabetes - Ein Expertengespräch

Diabetologin Dr. med. Barbara Sawitzky-Rose spricht über die Diagnose von Prädiabetes, über Insulinresistenz und über die Chance Diabetes zu verhindern.

Prädiabetes - Betroffene haben leicht erhöhte Blutzuckerwerte am Morgen oder nach kohlehydratreichen Mahlzeiten. Wird diese Störung rechtzeitig erkannt und packen die Betroffenen das Thema Lebensstilveränderungen an, kann Diabetes oft noch verhindert werden, sagt die Berliner Internistin Barbara Sawitzky-Rose, Vorstandsmitglied der Berliner Diabetes Gesellschaft (BDG).
 
Jedes Jahr wird bei über 250.000 Menschen Diabetes neu diagnostiziert, so die Zahlen der Deutschen Diabetes Hilfe. Besonders rasant ist der Anstieg der Typ-2-Diabetiker, also der Menschen, deren Körper erst schrittweise immer schlechter mit Zucker aus Lebensmitteln fertig wird.
 
Diese Typ-2-Diabetiker machen rund 90 Prozent der Diabeteserkrankten aus und ihre Stoffwechselstörung ist nicht angeboren, sondern leider oft im wahrsten Sinne menschengemacht - durch den Lebensstil. Einige Experten sprechen im Zusammenhang mit Diabetes von Volkskrankheit. Doch die kommt nicht über Nacht und auch wenn Menschen schon an einem Prädiabetes leiden, lässt sich mit den richtigen Mitteln und mit Motivation die Krankheit noch abwenden, die Organe so massiv schädigen kann.

Frau Dr. Sawitzky-Rose, was ist Prädiabetes überhaupt?

Beim Prädiabetes sind die Blutzuckerwerte erhöht, beispielsweise morgens direkt nach dem Aufstehen, wenn die Leute noch nichts gegessen haben. Sie liegen dann zwischen 110 und 125 Milligramm pro Deziliter (6,1 und 6,9 mmol/l) und damit unter den Werten bei Menschen mit einem Typ-2-Diabetes. Idealerweise sollte der Blutzucker morgens aber unter 110 mg/dl (6,1mmol/l) liegen.

Wie macht sich ein Prädiabetes bemerkbar?

Für die Betroffenen leider gar nicht. Wir gehen davon aus, dass mindestens neun von zehn Menschen nichts von ihren erhöhten Werten wissen. Es gibt aber Risikofaktoren wie ein gehäuftes Vorkommen von Diabetes in der Familie oder deutliches Übergewicht, die manche Menschen veranlassen, einen Test machen zu lassen.
 
Warum sollten sie das tun?
 
Prädiabetes kann das Risiko erhöhen, an Diabetes und - in der Folge - weitere gefürchtete Krankheiten wie Herzinfarkt, Schlaganfall oder Nierenversagen zu erleiden.

Und wie wird ein Prädiabetes bei all den anderen diagnostiziert?

Meistens fallen den Kollegen wiederholt erhöhte Blutzuckerwerte auf, beispielsweise bei schwangeren Frauen oder Menschen, die den von den gesetzlichen Kassen bezahlten Gesundheitsscheck machen.
 
In einem zweiten Schritt führen wir einen sogenannten Zuckerbelastungstest durch, bei dem der Ratsuchenden nach einer zehnstündigen Fastenzeit am Morgen eine standardisierte Zuckerlösung trinkt. Neben dem Blutzucker bestimmen wir dann auch den Insulinspiegel. Bei Stoffwechselgesunden steigt der Blutzuckerspiegel nur mäßig an und hat sich nach zwei Stunden wieder völlig normalisiert. Die Werte helfen uns, das Ausmaß der Insulinresistenz auszurechnen, den sogenannten HOMA-IR.

Was hat eine Insulinresistenz mit dem Prädiabetes zu tun?

Insulin ist ein Hormon, das spezielle Zellen der Bauchspeicheldrüse produzieren. Bildlich gesprochen funktioniert es wie ein Schlüssel, der die Zellen für den Blutzucker öffnet. Der Zucker versorgt sie mit der notwendigen Energie. Bei einem Prädiabetes reagieren die Zellen im Körper teilweise verzögert auf Insulin. In der Folge produziert die Bauchspeicheldrüse immer mehr davon, um den Zucker im Blut in die Zellen zu kriegen. Dieses Stadium bezeichnen wir als Insulinresistenz. Wird es nicht erkannt, erschöpft sich die Bauchspeicheldrüse nach und nach und die Insulinproduktion versiegt.

Prädiabetes tritt, wie der Name schon sagt, vor einem Typ 2-Diabetes auf. Betrachten Sie es als eine Frühform der Erkrankung?

Ein Mensch mit wiederholt erhöhten Blutzuckerwerten entwickelt nicht zwangsläufig einen Diabetes. Viele Faktoren, auch genetische, spielen bei der Entwicklung eine große Rolle. Die gute Nachricht ist: Menschen mit Prädiabetes können ihr Risiko an Diabetes zu erkranken relativ leicht verhindern oder zumindest lange hinauszögern, indem sie ihre Lebensgewohnheiten verändern.
 
Wir Menschen sind sehr bequem und kommen oft erst ins Tun, wenn wir Angst haben, etwas zu verlieren.

Woran denken Sie bei der Lebensstiländerung konkret?

Wir wissen, dass eine ausgewogene Ernährung mit Vollkornprodukten, viel Gemüse und wenig Fertignahrungsmitteln einen positiven Einfluss hat. Häufig hilft es schon enorm, wenn diese Menschen auf gesüßte Getränke verzichten und statt des Fahrstuhls die Treppe nehmen.
 
Denn: Eine Gewichtsabnahme von drei bis fünf Kilo und mehr Bewegung im Alltag können eine Insulinresistenz schon merklich bessern. Betroffene berichten mir oft, dass sie sich durch diese einfachen Maßnahmen auch insgesamt wacher fühlen und mehr Energie haben, um ihren Alltag lustvoll zu gestalten.

Können sie damit auch nachhaltig etwas bewirken?
 
Wenn die Zellen wieder empfindlicher auf das körpereigene Insulin reagieren, lässt sich auch das Risiko für Folgeerkrankungen drastisch senken. Sind allerdings der Blutzucker und der Insulinspiegel dauerhaft erhöht, ist auch das Risiko für die Gesundheit deutlich erhöht. Die Menschen müssen ihr Leben daher dauerhaft ändern.

Gibt es Prädiabetiker, die besonders für einen Diabetes gefährdet sind?

Ja, jene mit Bluthochdruck, erhöhten Blutfettwerten und mit deutlichem Übergewicht. Insbesondere der Bauchumfang ist ein eigener Risikofaktor. Das Bauchfett produziert Hormone, die sich ungünstig auf die Blutfette und den Blutzucker auswirken. Kritisch ist bei Frauen ein Bauchumfang ab 88 Zentimetern, bei Männern ab 102 Zentimetern. Je früher wir solche Risikokonstellationen erkennen und behilflich sind, sie wieder rückgängig zu machen, desto eher können wir chronische Erkrankungen wie den Diabetes abwenden.

Die American Diabetes Association (ADA), der führende US-amerikanische-Diabetes-Verband, fordert, einen Prädiabetes auch medikamentös zu behandeln, beispielsweise mit Metformin, weil sonst Folgeschäden drohen. Wie ist die Situation in Deutschland und was sagen die Studien?
 
Prädiabetes zeigt ein Risiko an, ist aber per Definition keine Erkrankung im eigentlichen Sinn. In Deutschland ist bei einem Prädiabetes aktuell deshalb keine medikamentöse Therapie vorgesehen. Meiner Erfahrung nach profitieren viele Menschen enorm von einer guten Aufklärung und Unterstützung bei der Umsetzung von Lebensstilveränderungen. Ich setze Metformin nur dann unterstützend ein, wenn die Betroffenen keinen erkennbaren Erfolg durch einen geänderten Lebensstil erzielen. Die Kosten für das Medikament muss der Betroffene selbst tragen, da die gesetzlichen Kassen den Nutzen noch nicht anerkennen.

Was können Menschen ansonsten tun?

Ich empfehle eine Ernährungsberatung, die auf die Bedürfnisse und Voraussetzungen des Einzelnen zugeschnitten ist: In vielen Lebensmitteln sind sogenannte versteckte Zucker, die für viele Menschen nicht als solche erkennbar sind. Allein der weitgehende Verzicht auf eine hohe oder regelmäßige Zuckerzufuhr in Form von Softdrinks, Keksen und Kuchen führt in der Regel zu einem erkennbaren Gewichtsverlust.
 
Ende letzten Jahres haben beispielsweise verschiedene Fachgesellschaften Empfehlungen zum Zuckerkonsum herausgegeben [Anm. d. Red.: Siehe die Box "Infos im Netz"]. Aber auch Organisationen wie Foodwatch stecken sehr viel Energie in eine bessere Aufklärung der Bürger – und damit in die Prävention von Erkrankungen, die durch eine Fehlernährung verursacht werden können.
 
Ich kann allen Betroffenen nur sagen: Sehen Sie den Prädiabetes als eine Chance zu mehr Gesundheit, die Sie nutzen können.

Die Expertin

Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Constanze Löffler (im Dezember 2019)

Das könnte Sie auch interessieren

Weibchen beim Blutsaugen auf menschlichem Arm (Quelle: imago/blickwinkel)
imago/blickwinkel

Interview | West-Nil-Fieber in Deutschland - Durch Mücken angesteckt

Im September dieses Jahres hat sich zum ersten Mal in Deutschland ein 70-jähriger Mann aus der Nähe von Leipzig mit dem West-Nil-Fieber angesteckt. Und zwar nicht, indem er das Virus aus dem Ausland mitgebracht hat, sondern durch den Stich einer ganz normalen Stechmücke, wie sie bei uns landauf landab vorkommt.

Fish & Chips auf einem Teller (Bild: imago/biky)
imago/biky

Ernährungswissen: Nicht mit und nicht ohne - Gute Fette, böse Fette

Heiß und fettig - die Kombination gilt schon lange als ungesund. Aber, wie oft im Bereich der Fette, sind Annahmen verbreiteter als tatsächliches Wissen um die Wirkung. Eine neue große US-Studie hat nun Nachweise in Sachen Frittieren gefliefert: demnach erhöht konkret die Häufigkeit des Konsums das Risiko an Herzkrankheiten zu erkranken oder sterben. Wer aber Fett komplett vom Speiseplan bannen will könnte Gesundes verpassen: denn je nach Typ und Zubereitungsart können Fette sehr nützlich sein. Und: Ohne geht's nicht.