Gegrilltes Steak mit Rosmarin und Kräuterbutter (Bild: Colourbox)
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Interview l Forschung - Krebsauslöser in Fleisch und Milch?

Gibt es Lebensmittel, die Krebs auslösen - unabhängig von der Zubereitungsart? Und wenn ja - wie? Der Virologe Prof. Harald zur Hausen ist sein ganzes berufliches Leben winzigen Erregern auf der Spur, die uns krank machen - 2008 erhielt er dafür den Medizinnobelpreis. Jetzt vermuten er und sein Team Erreger für Krebs in den Produkten europäischer Rinder. Das ganze Interview zum Nachlesen.

rbb Praxis-Reporterin Carola Welt hat den Virologen Prof. Dr. Harald zur Hausen bei einer Veranstaltung in der Urania Berlin zum Interview getroffen. Hier lesen Sie die wörtliche Wiedergabe des Interviews:

Was sind die bisher gängigen Vorstellungen davon, warum Fleisch Krebs erzeugen kann? Ist Braten tatsächlich schädlich?
 
Die Hauptansicht besteht darin, dass beim Rösten und Braten und Grillen vom sogenannten roten Fleisch eine Reihe von chemischen Schadstoffen entsteht, vor allem aromatische Hydrocarbone. Die, wenn man sie in größerer Dosis Mäusen z.b. spritzt, wirklich Krebs erzeugen. Das hat viele überzeugt, dass das die Ursache dafür sein muss, dass rotes Fleisch ein gewisses Risiko darstellt. Und insofern war das so gängig, dass eigentlich fast gar nichts anderes publiziert werden konnte.

Sie haben weltweite Daten über Fleischverzehr angesehen. Was hat Sie stutzig gemacht?
 
Ich war noch nie zufrieden damit, weil mir auffiel, dass die Epidemiologie der Krebsarten um die es hier ging - es ging vor einem Dickdarmkrebs - nicht dazu passte. Denn es gab Länder, in denen sehr viel rotes Fleisch verzehrt wird, wie z.b. in der Mongolei, wo es auch geröstet, gebraten und barbecued wird, und zum Teil auch luftgetrocknet gegessen wird, wo die Krebsrate außerordentlich niedrig war. Das passte sie nicht. Hinzu kommt, dass auch beim Grillen, Braten und Rösten von sogenanntem weißen Fleisch - also Geflügel und Fisch, dem man einen Schutzeffekt gegen Dickdarmkrebs zuspricht – eigentlich die gleichen chemischen Stoffe bzw. Schadstoffe entstehen und trotzdem hier kein erhöhtes Risiko damit verbunden ist. Mit anderen Worten: Das passt ja nicht.

Was haben Sie dann gemacht?
Wir sind der Frage nachgegangen: Was kann es sein? Und sind eigentlich relativ früh auf die Spur gestoßen, dass es möglicherweise nicht das rote Fleisch als solches ist. Sondern ein spezifisches rotes Fleisch, und zwar das rote Fleisch von unseren Milchrindern in allererster Linie. Das basiert ja im Wesentlichen auf epidemiologischen Untersuchungen, die wir durchgeführt haben und die sehr deutlich darauf wiesen, dass damit ein Risiko verbunden sei. Und das hat uns dazu veranlasst, intensiv nachzusehen. Das heißt, wir haben Seren von europäischen Milchrindern, die wir von Veterinären in Leipzig erhielten, und darüber hinaus Milchprodukte, die in Deutschland überall käuflich erhältlich sind, untersucht.
 
Und sind dabei fündig geworden - haben bestimmte Sequenzen gefunden, kleine ringförmige Moleküle, die in beiden Materialien vorlagen, die unsere Aufmerksamkeit erregten und die zwei bestimmte Merkmale aufwiesen: Einmal waren sie sehr nah bei bestimmten Chromosomen-Elementen von Bakterien verwandt, sogenannten Plasmiden. Das sind eigentlich kleine Mini Chromosomen in einer Bakterienzelle, die neben einem Haupt Chromosom vorliegen. Und zum zweiten, dass wir sie eigentlich einer ganz bestimmten Gruppe von Plasmiden zuordnen konnten, einer relativ kleiner Gruppe, die in einer bestimmten Bakterienart vor allem vorkommen. Und wir haben natürlich zunächst die Vermutung gehabt: Es handelt sich hier um Verunreinigung, die häufig von allen möglichen Tumor-Materialien berichtet wurde.

Und haben dann aber gesehen, dass, wenn wir diese kleinen Moleküle in menschliche Zellen hinein brachten, dass unter diesen Voraussetzungen diese Moleküle in menschlichen Zellen genetisch aktiv waren. Und dass sie sich auch in ganz bestimmten menschlichen Zellarten eigenständig vermehrten. Das hat unsere Aufmerksamkeit natürlich weiter auf diese Moleküle gelenkt. Und dann haben wir versucht zu sehen, ob wir sie im Menschen woanders noch finden. Und wir haben sie im Dickdarm gefunden. Nicht in den Krebszellen, aber in unmittelbarer Nachbarschaft der Zellen, aus denen die Krebszellen hervorgehen.
 
Und das hat einen interessanten Hintergrundgedanken erweckt, dass nämlich hier etwas vorliegt, das wir eigentlich beim Hepatitis-C bedingten Leberkrebs her kennen: Dass hier etwas, dass wir als indirekte Krebsentstehung bezeichnen vorliegt. Nämlich dass hier Entzündungserscheinungen vorliegen, die zu Sauerstoffradikalen führen, die wiederum ihrerseits Mutationen auslösen - also Veränderungen im Erbgut der Zellen auslösen. Und das haben wir näher untersucht, es handelt sich tatsächlich überall da, wo diese Erreger gefunden wurden, um Entzündungsprozesse, die sich auch durch eine bestimmte Entzündungsbeteiligung von Zellen nachweisen lassen. Und wir konnten auch zeigen dass dort Sauerstoffradikale gebildet werden, die eine ganz bestimmte Veränderung im Erbgut hervorrufen, die wir auch finden konnten.

Fanden Sie diese Erreger, die Sie BMMF genannt haben, für "Bovine Milk and Meat Factors", bei Kranken oder bei Gesunden?
 
Das finden Sie auch in einem relativ großen Umfang bei Gesunden. Weil wir alle mit diesen Agenzien in einer relativ frühen Lebensphase infiziert werden. Wahrscheinlich unmittelbar nach dem Abstillen, durch den Verzehr von Kuhmilch-Produkten. Und das ist ein Prozess, der eingeleitet wird, der sich über Jahrzehnte hinzieht. Und der zufällige Mutationen erzeugt, in den Zellen, die eigentlich empfänglich für das Krebswachstum sind, weil sie sich sehr stark vermehren. Überall da, wo eine solche starke Vermehrung stattfindet, sind die Zellen besonders anfällig für Mutationen.
 
Und wenn ganz bestimmte Gene in diesen Ereignissen getroffen werden, also etwa das sogenannte APC-Gen oder das KRAS-Gen, dann kommt es offensichtlich zu sogenannten Driver-Mutationen, die das Zellwachstum beschleunigen und letztendlich solche Veränderungen entstehen lassen, die als Polypen und später dann als maligne Tumoren sich entwickeln. Der ganze Prozess dauert ca. 40 - 70 Jahre, also mehrere Jahrzehnte.

Worauf stützen Sie das?
 
Das stützen wir auf die Basis der Epidemiologie, wann diese Krebsarten entstehen. Und wir können einen Infektionsbeginn auch mit dem Abstillen ungefähr nachweisen

Wer ist da jetzt besonders gefährdet?
 
Wir alle sind gefährdet. Wir alle haben diese Erreger in uns. Ob wir jetzt heute Milch trinken oder Rindfleisch essen -es wird vermutlich das Risiko, das wir gegenwärtig in uns tragen, nicht verändern.
 
Also ich habe in allen Presseberichten nach unserer Pressekonferenz am DKFZ (Anmerkung der Red.: am  26.2.2019) gelesen: Harald zur Hausen warnt vor dem Verzehr von Fleisch und Milch. Das ist falsch, das tue ich nicht.
Denn da wir bereits Antikörper früh im Leben entwickeln, spielen diese Infektionen im Leben später wahrscheinlich keine große Rolle. Es kann allerdings sein, was wir nicht ausschließen können, da es eine sehr heterogene Gruppe von Erregern ist, dass Erreger, die uns bis jetzt noch nicht infiziert hatten, trotzdem noch mal später als Infektion auftreten. Aber insgesamt ist die Wahrscheinlichkeit dafür vergleichsweise ziemlich gering.

Das heißt, wir haben den Erreger alle in uns, aber es muss nicht zu Krebs führen?
 
Genau das ist der Fall. In der großen Mehrzahl der Menschen bricht er nicht aus. Und das sind nicht nur Erreger, die beim Dickdarmkrebs gefunden werden. Wir finden auch die gleichen Proteine bei Brustkrebs-Patientinnen und auch bei Prostata-Patienten. Mit anderen Worten, wir wissen dort noch nicht so genau, weil wir noch nicht so viel analysiert haben, wie beim Dickdarmkrebs, ob die Zusammenhänge dort genauso sind wie beim Dickdarmkrebs. Aber es sieht zumindest so aus, als ob das auch der Fall ist.

Haben Sie BMMF auch schon im Krebsgewebe gefunden?
 
Nein, das ist der entscheidende Punkt: Wir finden es nicht im Krebsgewebe, weil dort die Mutationen auftreten. Die Zellen, aus denen Krebs hervorgeht, sind offenbar gar nicht mal empfänglich für diese Art von Infektionen, sind aber sehr wohl empfänglich für die Mutationen, die aus ihrer unmittelbaren Umgebung in sie hinein ausgelöst werden.

Was kann man als Verbraucher jetzt tun?
 
Es laufen eine ganze Reihe von Untersuchungen bei uns, um hier etwas zu unternehmen. Das Hauptprotein, das gebildet wird, das sogenannte Rep-Protein, das für die Vermehrung dieser Agenzien wesentlich ist, liegt inzwischen in kristalliner Form vor. Die Struktur ist klar und von da aus ausgehend kann durchaus auch daran gedacht werden, jetzt mit spezifischen Chemikalien zu versuchen, die Funktion zu hemmen.
 
Das ist ein Riesenaufwand, der dafür betrieben werden muss, den wir im Moment noch nicht betreiben können. Es gibt auch - zumindest gedanklich - die Möglichkeit, Vakzinen, also Impfungen zu entwickeln, die hoffentlich dann allerdings in sehr früher Lebensphase gegeben werden müssen, vor dem Abstillen. Und wie das bei Hepatitis B, einer anderen Viruserkrankung, die Leberkrebs erzeugt, auch heute schon in Südostasien vielfältig gemacht wird. Also es gibt eine Reihe von Denkmodellen, wie wir hier etwas bewirken können. Allerdings erfordert das alles noch relativ viel Arbeit.
 
Das Wesentliche ist für uns, dass wir die Quelle der Infektion identifiziert haben. Wir wissen, wo sie sich ablagern in menschlichen Geweben. Wir wissen, was für Entzündungsreaktionen sie hervorrufen. Und wir wissen, dass diese Entzündungsreaktionen mutagen wirksam sind. Und dass sind also spezifische Arten von Erregern, die rein zufällige Mutationen erzeugen.

Und was raten sie jetzt Müttern?
 
Den einzigen praktischen Rat, den wir gegenwärtig geben können, ist, so lange wie möglich zu stillen. Es zeigt sich überall da auf der Welt, wo ein Stillen etwa über 12 Monate durchgeführt wird, dass die Rate für Dickdarmkrebs und auch Brustkrebs niedriger ist.

Aber wenn das Kind danach dann mit Milch in Kontakt kommt, würde es sich wieder infizieren?
 
Nein, es würde gegen die bis dahin vorliegenden Typen Antikörper haben. Und das Immunsystem ist nach einem Jahr gut entwickelt und wird vermutlich relativ gut mit dieser Art von Infektion fertig werden.

Dennoch werden viele Menschen nach diesen Entdeckungen beunruhigt sein. Was können Sie denen sagen?
 
Es macht keinen Sinn, zurzeit auf Milch und Fleisch zu verzichten, denn das ändert an dem Risiko, das wir gegenwärtig ohnehin haben, gar nichts. Und insofern tun wir gut daran, die Forschung intensiv zu fördern, dass wir weiterkommen und dass wir Gegenmaßnahmen entwickeln, dass wir auch auf der Basis der Kristallstruktur des Proteins chemische Substanzen entwickeln können, die die Funktion dieses Eiweißes hemmen.
 
Und auf der Basis lässt sich etwas entwickeln. Wir haben früher die Papillomviren, die den Gebärmutterhalskrebs auslösen, isolieren können. Und es hat dennoch 22 Jahre gedauert, bis Impfstoffe endlich lizenziert wurden und endlich dann auch zur Verfügung standen. Also wir haben jetzt Erreger identifiziert, die eine ganz neue Klasse von Erregern darstellen - weder Viren noch Bakterien. Und die jetzt die Ausgangsbasis dafür liefern, dass wir auch wirksame Therapie und Präventionsmaßnahmen entwickeln können. Aber das dauert seine Zeit.

Kann man selber etwas machen dass es vielleicht nicht ausbricht?
 
Ach ja man kann wahrscheinlich schon etwas machen. Das ist lange bekannt, dass z.B. bestimmte sogenannte entzündungshemmende Chemikalien, Atebrin, Ibuprofen und andere, dass sie einen gewissen Hemm-Effekt ausüben. Aber da warne ich von vornherein zur Vorsicht, denn das kann nur unter ärztlicher Aufsicht geschehen, weil diese Substanzen zu höherer Blutungsneigung führen. Und vor allem wenn sie nach dem 70. Lebensjahr eingenommen werden, wie eine kürzliche Studie zumindest zeigte, auch im Verdacht stehen, dass sie dann noch die Krebsrate erhöhen. Also so etwas nur mit Vorsicht tun und unter gründlicher ärztliche Beratung.

Frage aber es sind jetzt nur die Konsumenten von europäischen Rind betroffen?
 
Das kann ich nicht mit Sicherheit sagen. Das sind die, die wir gut untersucht haben. Das kann durchaus sein, dass in anderen Spezies in Zukunft auch ähnliche Erreger gefunden werden. Aber im Augenblick - in den europäischen Milchkühen sind sie sicher relativ weit verbreitet. Und es ist sowieso ganz interessant, aus einer anderen Perspektive, weil sie  sich offensichtlich von früheren Infektionen mit spezifischen Bakterien abgeleitet haben und sich verselbständigt haben.

Welche Rolle spielt Zucker in der Prävention?
 
Es ist wahr, dass in der Muttermilch Zucker sind, die bei anderen Spezies fehlen. Und diese Zucker haben eine Funktion: Sie blockieren Empfängerstationen für solche Infektionen. Theoretisch ist es durchaus denkbar, dass man solche Zucker - die übrigens bei Müttern, die Mehrfachentbindungen haben, auch wirksam sind und einige Infektionen dort verhindern - möglicherweise langfristig auch Erwachsenen verabreichen kann und damit die Ausbreitung solche Infektionen weiter blockieren kann. Aber das erfordert leider auch Langzeitstudien, weil hier geprüft werden muss, ob wir überhaupt vertragen, wenn wir solche Zucker außerhalb unserer Baby-Periode langfristig unserer Nahrung zuzumischen.

Frage wie gehen sie jetzt weiter in ihrer Forschung vor?
 
Die nächsten Schritte sind natürlich, dass wir uns bemühen, geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln. Also Vorbeugung durch Impfung, die vor allem den neugeborenen Kindern zugutekommen.

Sind Sie selbst noch in der Forschungsgruppe?
Seit 16 Jahren bin ich emeritiert. Ich hatte über lange Jahre bis zum Februar vorigen Jahres noch eine Arbeitsgruppe selbst geleitet. Im Augenblick wirke ich nur noch als Berater für diese Gruppe.
 
Herr Prof. Harald zur Hausen, wir danken für das Gespräch.

Beitrag von Carola Welt