Hände eines Doktors halten Tabletten mit erklärender Gestik (Bild: Colourbox)
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Kraft der Psyche - Placebo und Nocebo - Wie Glaube Therapien beeinflusst

Wissen kann gesund machen; nicht nur die Fachkenntnis des Arztes, sondern auch das Wissen des Patienten – jedenfalls das, was er dafür hält und darum erwartet. Der Glaube an eine positive Wirkung, kann sie ein Stück weit herbeiführen. Das ist der Placebo-Effekt. Doch dieser Effekt hat auch eine dunkle Seite, den "Nocebo-Effekt". Misstrauen, Angst und Skepsis können so Therapien zu Nichte machen. Gerade auch mit Hilfe von "Dr. Google"…

Über den Einfluss von Überzeugungen auf medizinische Therapien machen sich Menschen schon seit Tausenden Jahren Gedanken: Seit der Antike ist z.B. der Placebo-Effekt bekannt, aber ganz erklärt ist er deshalb auch 2019 immer noch nicht. Fakt ist, dass eine Therapie ohne Wirkstoff dabei Wirkung entfaltet - weil der Patient sie erwartet. Bei jedem Menschen ist dieser Effekt unterschiedlich stark, aber tendenziell gilt: je mehr Anlass sie oder er zum Glauben an den Therapeuten und/oder die Therapie hat, desto größer der Effekt, den das menschliche Gehirn auslöst. Dabei können zum Beispiel Rituale oder Traditionen eine Rolle spielen. Die meisten Menschen würden beispielsweise auf einen Menschen im weißen Kittel, der eine Tablette reicht, deutlich intensiver mit dem Placebo-Effekt reagieren, als auf jemanden im Blaumann, der ein Glas Wasser reicht – auch wenn weder Wasser noch Tablette Wirkstoffe enthalten.

In neueren Studien konnte der Placebo-Effekt auch im Gehirn sichtbar gemacht werden: Hirnregionen werden aktiv, schütten Botenstoffe (wie Endorphine, Dopamine oder Opioide) aus, was zum Beispiel die Schmerzwahrnehmung verändert oder Parkinsonpatienten hilft. Mittels Blutuntersuchungen konnten Wissenschaftler am Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensimmunbiologie der Uni Essen beispielsweise zeigen, dass Placebos sogar bis zu 80 Prozent der Wirkung starker Medikamente gegen Autoimmunkrankheiten wie Rheuma entfalten können. Der Placebo-Effekt kann also tatsächlich große Wirkung entfalten.

Nocebo – wenn Erwartung schadet

Fest steht: Vertrauen und die eigene Erwartungshaltung verstärken den Placebo-Effekt. Was aber die wenigsten wissen - es gibt auch seine Kehrseite, den Nocebo-Effekt. Endeckt wurde er in den 1960er Jahren, als Placebo-Probanden Nebenwirkungen nur dadurch entwickelten, dass sie darüber informiert wurden - ohne echten Wirkstoff, aber mit echten Nebenwirkungen. Da er aber für Forscher deutlich weniger interessant schien, als der Placebo-Effekt und ja auch schaden anrichten konnte, geriet der Nocebo-Effekt lange in Vergessenheit. Erst Anfang des neuen Jahrhunderts wurde er für die Wissenschaft wieder interessanter.
 
An der Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder) forscht der Kommunikationswissenschaftler Prof. Dr. Hartmut Schröder zum Nocebo-Effekt. Der könne durch alle Reize hervorgerufen werden, die auf den Patienten zukommen: "Vermittelt wird das meistens über Angst und diese Reize können zum Beispiel auch aus den Medien kommen, sie können aus der Arzt-Patienten-Kommunikation kommen und sie können natürlich auch aus den Beipackzetteln von Medikamenten kommen."

Dr. Google kann Nocebo auslösen

Einen solchen Reiz-Effekt könne auch das Googlen nach Diagnosen und Symptomen auslösen, so Hartmut Schröder: "Man kann mit Informationen nur soweit umgehen, als dass eine gewisse Grundkompetenz für den Umgang mit solchen Informationen eben auch da ist. Von daher sehe ich Teile der Angebote im Internet wirklich als Blase und letztendlich können vielleicht einige dieser Informationen sogar eher schaden als nützen."
 
Nachweislich kann der Nocebo-Effekt nicht nur Symptome überhaupt hervorrufen, sondern auch die Wirkung echter Medikamente auslöschen/zu Nichte machen - das zeigte eine Studie mit Schmerzmitteln, bei der Probanden die Information erhielten ein Schmerzmittel könne Schmerzen verstärken - das eigentlich gegenteilig wirkende Mittel hatte keinen Effekt mehr. Besonders gefährdet sind laut Prof. Hartmut Schröder Menschen mit schlechten Behandlungserfahrungen oder auch Angstpatienten.

Wissen braucht Einordnung

Was hilft? Eine gute, individuelle Arzt-Patienten-Kommunikation, bei der Wissen eingeordnet wird – eben damit es nicht zur diffusen Angst wird, sagt der therapeutische Kommunikationswissenschaftler: "Es geht eigentlich darum, eine Passung zwischen Arzt und Patient zu finden, so dass immer wieder auch nachgefragt werden kann: 'Haben Sie da noch eine Frage? Oder kann ich sicher sein, dass Sie, wenn Sie jetzt nach Hause gehen, nicht später noch mit Fragen allein gelassen werden, die wir hier vorab doch schon klären sollten?'".
 
Dass eine Information Auslöser für den Nocebo-Effekt ist sagt – auch wenn manche eher verächtlich von Dr. Google sprechen – nichts über die inhaltliche Qualität aus im Sinne einer Richtigkeit. Schließlich wurde der Effekt unter anderem an Beipackzetteln untersucht und die darin enthaltenen Beschreibungen von Nebenwirkungen sind nicht falsch – sie sind nur einfach nicht leicht zu verstehen und letztendlich in der Regel nicht für Patienten gemacht, sondern zur rechtlichen Absicherung von Unternehmen. Ein Risiko für eine Nebenwirkung einzuordnen ist also nicht sehr hoch auf der Prioritätenliste des Verfassers.

Den Nocebo-Reiz umkehren

Insbesondere der Arzt als fachkundiges Gegenüber, dem der Patient bestenfalls vertraut, kann einen Nocebo-Reiz „entschärfen“ - durch Einordnung. Aber auch ein stabiles soziales Umfeld, Partner und Freunde, die als Gesprächspartner zur Verfügung stehen und Ängste nehmen können, sind entscheidende Faktoren. Nicht immer jedoch kann Information oder auch Aufklärung nur Gutes bewirken. Ein Beispiel, das Prof. Dr. Schröder im Zusammenhang damit lange in Erinnerung geblieben ist, war eine Studienreihe aus der Placeboforschung bei Parkinson: US-amerikanische Forscher behandelten einen Teil der Probanden mit einer OP bei der embryonale Nervenzellen ins Gehirn implantiert wurden. Der anderen Gruppe wurde diese OP nur vorgetäuscht. Die Ergebnisse waren erstaunlich, denn die Patienten der Placebo-Gruppe - die also tatsächlich keine Operation erhalten hatten, sondern nur eine Betäubung - bestätigten Monate nach dem angeblichen Eingriff einen enormen Gewinn an Lebensqualität.
 
"Soweit, so gut, aber das ist leider nicht das Ende der Geschichte", sagt Hartmut Schröder. "Nach sechs Monaten wurden die Patienten aufgeklärt, ob sie in der Placebo-Gruppe waren oder der, die wirklich operiert worden ist. Durch die Aufklärung, also wieder eine Information und hier zum Nocebo, gab es in der Placebo-Gruppe nun den verheerenden Effekt, dass alle die Symptome, die sie vorher hatten, zurückentwickelten. Das bringt uns zu einer ethischen Frage: Wenn nach dem hippokratischen Eid der Arzt dem Patienten nicht schaden darf, dann bedeutet das ja auch, dass er nicht durch Informationen schaden darf. In dieser Studie haben die Patienten den positiven Effekt der Schein-OP verloren. Auf der anderen Seite haben wir durch die Patientenautonomie auch die Verpflichtung, dass der Patient vom Arzt umfassend und kompetent informiert werden muss. Das heißt wir sind hier in einem Dilemma. Ich glaube man kommt aus dieser Situation nur heraus, wenn man jeden Fall als Einzelfall sieht und auch den Patienten entscheiden lässt, wie weit und wie umfangreich er über bestimmte Dinge aufgeklärt werden muss. Vielleicht kann dann ein Patient auch ganz bewusst auf eine Information verzichten, um zu vermeiden, dass durch die Information Schaden entsteht."

Beitrag von Lucia Hennerici

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