Schatten eines Mannes (Bild: imago/Thomas Eisenhuth)
Bild: imago/Thomas Eisenhuth

Interview l Was ist eine Phobie und was kann ich tun? - Wenn Angst zur Phobie wird

Angst ist wichtig, um uns vor Gefahren zu warnen. Bei manchen Menschen aber reagiert die eingebaute Alarmanlage über und hindert sie daran, ihren Alltag zu bestreiten. Im Gespräch mit rbb Praxis erklärt der Psychiater und Angstforscher Professor Andreas Ströhle, wann die Furcht vor etwas krankhaft wird und was man dagegen tun kann.

Professor Ströhle, Angst haben wir alle hin und wieder. Aber wann ist es so viel, dass man es Phobie nennt?
 
Angst ist eine normale Reaktion auf eine mögliche Bedrohung. Sie zeigt uns, dass wir vorsichtig sein müssen. Zur Krankheit wird sie, wenn sie übersteigert auftritt, also nicht der Situation angemessen ist. Wenn mir ein kleiner Hund entgegenkommt und ich so starke Angst bekomme, dass ich die Straßenseite wechseln muss, dann spricht das für eine Angsterkrankung. Wenn ich aber in Afrika einem Löwen gegenüberstehe und Angst bekomme, dann ist das keine übersteigerte Reaktion, weil das Tier eine potenzielle Gefahr ist. Von einer Phobie würde in so einer Situation niemand sprechen.

Was unterscheidet Angst und Phobie?
 
Phobien gehören zu den Angsterkrankungen, genauso wie Panikstörungen und generalisierte Angststörungen. Phobien sind dabei am häufigsten. Die Menschen haben Angst vor bestimmten Situationen oder Objekten.
 
Bei der Agoraphobie etwa sind es freie Flächen oder öffentliche Verkehrsmittel, aber auch beengte Situationen. Bei sozialen Phobien hingegen haben Menschen Probleme damit, wenn die Aufmerksamkeit anderer Menschen auf sie gerichtet ist, zum Beispiel in Vortrags- oder Leistungssituationen. Und dann gibt es natürlich die spezifischen Phobien.

Da fällt einem sofort die Angst vor Spinnen ein.
 
Die gehört zu den Tierphobien und ist tatsächlich häufig. Außerdem haben viele Menschen Angst vor Schlangen, Hunden und in der Stadt bemerkenswerterweise auch vor Tauben. Beim "Umwelttyp" fürchten sich Menschen zum Beispiel vor Gewittern, zum "situativen Typ" gehören Höhen- und Flugangst.
 
Und beim "Blut-, Spritzen- und Verletzungstyp" schließlich fürchten sich die Betroffenen eben vor genau diesen Dingen. Das Besondere ist, dass Menschen bei dieser Art Phobie in Ohnmacht fallen können. Das ist bei den anderen Angsterkrankungen nicht der Fall. Ursache ist eine überschießende Reaktion des parasympathischen Nervensystems. Bei einer möglichen Verletzung soll der Blutverlust begrenzt werden. Deshalb sammelt sich das Blut in den inneren Organen, und dann ist im Gehirn manchmal nicht mehr genug vorhanden – man wird ohnmächtig.

Wie viele Menschen leiden an solchen spezifischen Phobien?
 
Man schätzt, dass etwa acht Prozent der Deutschen so stark betroffen sind, dass es sie im Alltag beeinträchtigt. Zwar ist die Einschränkung oft nicht so stark wie bei der Agoraphobie oder der sozialen Phobie, aber dafür beginnt sie meist früher im Leben – oft schon im Kindes- oder Jugendalter.

Warum entstehen bei einer Person Phobien, während die nächste keinerlei Furcht zeigt?
 
Es gibt eine gewisse Bereitschaft dafür, eine Phobie zu entwickeln. Meist handelt es sich dabei um Dinge oder Situationen, die in der Menschheitsgeschichte eine Bedeutung hatten: Bei Spinnen, Schlangen, Höhe oder Feuer hat es gewissermaßen Sinn ergeben, sich davor zu fürchten, um zu überleben.
 
Dagegen kenne ich keinen Fall einer Zebrastreifenphobie oder einer Ampelphobie. Auch die Genetik spielt eine Rolle. Wer direkte Verwandte mit Phobien hat, hat ein erhöhtes Risiko, selbst betroffen zu sein. Aber auch Lernerfahrungen sind relevant, entweder durch eigene schlechte Erfahrungen oder durch Beobachten.

Was passiert dabei im Gehirn?
 
Man weiß, dass manche Regionen bei Menschen mit Angsterkrankungen überaktiv sind: vor allem jene Regionen, die im Gefahrenfall eine Alarmreaktion auslösen sollen. Dieses "Angstnetzwerk" schlägt bei Phobikern schon bei sehr geringen Reizen an und bleibt auch länger erregt als bei Menschen ohne Phobien.

Welche Symptome sind bei Phobien typisch?
 
Betroffene haben oft Herzrasen, bekommen schlecht Luft und schwitzen stark. Viele haben Angst, die Kontrolle zu verlieren oder "verrückt zu werden".
 
Bei Menschen mit sozialer Phobie sind diese körperlichen Zeichen dagegen oft nicht so ausgeprägt. Stattdessen überwiegt bei ihnen die Sorge, sich peinlich zu verhalten und dass die Leute sich über sie lustig machen könnten. Dabei kommt es auch oft zum Erröten oder anderen als unangenehm erlebten unwillkürlichen Symptomen.

Wann sollte man mit seiner Angst zum Arzt gehen und sie nicht mehr als normal abtun?
 
Wenn sie einen im Alltag beeinträchtigt. Bei sozialer Phobie etwa, wenn man Schwierigkeiten hat, soziale Kontakte zu finden. Wenn man in der Uni oder im Job weniger Leistung bringt, weil man immer nur Angst vor Situationen hat, in denen man bewertet wird, ist es sinnvoll, Hilfe zu suchen.
 
Gleiches gilt für die Agoraphobie. Im Extremfall können Menschen die eigene Wohnung nicht mehr verlassen. Deshalb haben wir ein Projekt begonnen, bei dem wir Menschen erst zu Hause behandeln, bevor sie überhaupt in die Klinik kommen können.

Und bei spezifischen Phobien?
 
Oft schränken die spezifischen Phobien Menschen nicht so stark im Alltag ein. Aber im Grunde ist es dasselbe. Wir hatten mal eine Patientin mit einer Kakerlakenphobie. Da kann man sagen: So häufig sind die bei uns nicht, als dass man dadurch beeinträchtigt wäre. Jetzt war das aber eine Frau, die in Asien gearbeitet hat und dort regelmäßig in Fabrikhallen unterwegs war, wo oft viele Kakerlaken leben. Das hat sie auf jeden Fall eingeschränkt. Nach der Therapie war das für sie kein Problem mehr.

Wohin sollte man sich in so einem Fall zuerst wenden?
 
Erst sollte man von einem Arzt abklären lassen, ob es sich nur um eine isolierte Phobie handelt oder ob die Angst zusammen mit einer anderen psychischen Erkrankung auftritt. Sollte es "nur" eine Phobie sein, ist die erste Anlaufstelle ein Psychotherapeut.
 
Die Menschen können auch in unsere Angstambulanz kommen. Allerdings dürfen wir leider keine Einzelpsychotherapien abrechnen, deshalb bieten wir Gruppentherapien an. Bei wem eine Einzeltherapie nötig ist, den vermitteln wir entsprechend weiter.

Welche Therapieform wirkt am besten?
 
Die kognitive Verhaltenstherapie. Erst sprechen Patient und Therapeut gemeinsam darüber, was bei der Entstehung der Angst möglicherweise eine Rolle gespielt hat und bereiten schrittweise die Exposition vor. So nennt man die Konfrontation mit der Situation oder dem Objekt, das die Angst auslöst.
 
Normalerweise dauert das etwa 25 Sitzungen lang. Dabei steht die Exposition in der Mitte. Anschließend müssen die Betroffenen noch alleine weiter üben und lernen was zu tun ist, wenn die Angst wieder anklopft.

Wie wird die Exposition durchgeführt?
 
Es gibt zwei Wege: Je nach Angst wendet man entweder ein gestuftes Verfahren an oder das Flooding, bei dem man auf einmal mit dem Reiz "überflutet" wird. Bei der Agoraphobie etwa ist das Flooding besser wirksam, bei sozialen Phobien eher ein langsameres Vorgehen, in das man auch Videoaufzeichnungen einbaut, wie man auf andere gewirkt hat.
 
Auch bei manchen spezifischen Phobien geht man eher schrittweise vor. Erst schaut man sich zum Beispiel ein Bild von Spinnen an, dann einen Film, und dann geht das bis zum Kontakt mit dem Tier. Bei der Flugangst steht am Ende ein gemeinsamer Flug von Therapeut und Patient.

Welchen Stellenwert haben Medikamente?
 
Bei sozialen Phobien und Agoraphobie können Antidepressiva sinnvoll sein, auch in Kombination mit einer Psychotherapie. Bei spezifischen Phobien bringen sie aber nichts. Generell versucht man, klassische Beruhigungsmittel bei Angsterkrankungen zu vermeiden.

Was halten Sie von Hypnose?
 
Es gibt keinen wissenschaftlichen Nachweis, dass Hypnose gegen Angsterkrankungen wirkt. Ich würde mich deshalb lieber auf die bewährte Methode der Verhaltenstherapie verlassen.
 
 
 
Wie sind da die Erfolgsaussichten?
 
Sehr gut: Zwischen 60 und 80 Prozent der Betroffenen profitieren sehr davon. Aber es macht natürlich einen Unterschied, ob jemand schon 40 Jahre unter einer Phobie leidet oder diese sich erst entwickelt hat. Aber auch im höheren Lebensalter kann man noch viel erreichen.

Was kann man tun, damit Ängste sich erst gar nicht entwickeln?
 
Vor allem sollte man versuchen, Dinge nicht zu vermeiden, die man nicht mag. Denn dann setzt ein Teufelskreis ein. Man macht immer wieder die Erfahrung, dass es einem nur dann besser geht, wenn man bestimmte Situationen vermeidet. Aber dann baut sich immer mehr Angst auf. Spätestens, wenn man aus diesem Vermeidungsverhalten nicht mehr rauskommt, sollte man sich Hilfe suchen.

Danke für das Gespräch, Professor Ströhle.
Das Interview führte Florian Schumann

Beitrag von Florian Schumann

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