Blutverdünner Pradaxa - Kontraste, Quelle: rbb

Experteninterviews | Blutverdünner - Marcumar, Pradaxa & Co.

rbb Praxis-Autorin Angelika Wörthmüller sprach mit Prof. Dr. med. Matthias Endres, Neurologe und Direktor der Klinik und Hochschulambulanz für Neurologie an der Charité, sowie Prof. Dr. Hanno Riess, Internist und Stellvertretender Klinikdirektor der Charité, und Dr. Holger J. Gellermann, Medizinischer Direktor bei Boehringer Ingelheim, über die Vor- und Nachteile der neuen und alten Blutverdünnungspräparate.

Seite 1 von 3

Interview mit Prof. Dr. Matthias Endres

 
Sind die neuen Blutverdünner gefährlicher als die alten?

Also erst muss man die Frage stellen, warum wir Blutverdünner, also Antikoagolantien, überhaupt einsetzen. Bei Patienten mit Vorhofflimmern oder Patienten, die schon einmal einen Schlaganfall erlitten haben, setzen wir Neurologen Medikamente ein, die in der Tat auch Risiken bergen, die die Blutgerinnung verändern und auch eine Blutungsneigung hervorrufen. Aber wir tun das aus gutem Grund, denn wenn wir nur das Blut verdünnen, können wir die Patienten vor weiteren Schlaganfällen schützen.

Das Problem mit dem Marcumar, was ja ein bewährtes Medikament ist, ist dass es Interaktionen mit anderen Medikamenten aufweist, also empfindlich ist in der Verträglichkeit mit anderen Präparaten und dass die Einstellung oft schwierig ist. Das ist das Hauptproblem, dass es vielen Patienten vorenthalten wird, also viele Patienten hätten behandelt werden müssen aus unserer Sicht, weil sie ein hohes Schlaganfallrisiko haben. Jetzt haben wir Alternativen, die neuen direkten oralen Antikoagolantien, die einzelne Vorteile aufweisen: Sie haben eine viel kürzere Wirksamkeit, d.h.sind leichter steuerbar, sie haben weniger Interaktion mit anderen Medikamenten, sie müssen nicht ständig, was die Einstellung betrifft, kontrolliert werden. Aber es sind neue Medikamente, so dass wir jetzt auch im Umgang mit diesen Medikamenten noch lernen müssen.

Sind die Todesfälle von Patienten, die Pradaxa eingenommen haben, darauf zurück zu führen, dass man noch nicht genug Erfahrung im Umgang mit dem Medikament hat?

Sie sprechen jetzt die Nebenwirkungen an. Es können natürlich Blutungen irgendwo im Körper auftreten, aber die Hirnblutung ist die gefürchtetste Nebenwirkung, da sie mit einer hohen Sterblichkeit und auch sonst mit einer schlechten Prognose assoziiert ist. Wir wissen, dass bei jeder Art von Antikoagulation dieses Risiko gegeben ist, aber in der Abwägung des Schutzes vor Schlaganfällen und des möglichen Risikos Hirnblutung treffen wir diese Entscheidung und sollten sie auch gut mit dem Patienten besprechen. Wenn wir nun diese beiden Substanzen, also Pradaxa, den neuen Blutverdünner (Wirkstoff Dabigatran) und den alten Blutverdünner Coumadin (Wirkstoff Warfarin), der ähnlich wirkt wie Marcumar (Wirkstoff Phenprocoumon) , dann kann man sagen: Das Risiko eine Hirnblutung zu erleiden, ist wohl geringer mit den neuen Medikamenten, das hat man in den Zulassungsstudien gesehen. Aber auch jetzt nach der Zulassung, in der Beobachtung von vielen Patienten, die damit behandelt wurden, ist das noch einmal bestätigt worden. Wir haben eine Veröffentlichung der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA, die noch einmal zeigt, dass das Hirnblutungsrisiko unter Dabigatran geringer ist als unter den alten Substanzen, den Vitamin-K-Hemmern oder dem Marcumar.

Wenn eine Hirnblutung auftritt - können Pradaxa-Patienten dann genauso gut behandelt werden, wie Marcumar oder Coumadin-Patienten?

Bei der Blutung in das Gehirn stehen uns leider wenige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung, es ist z.B. sehr selten der Fall, dass Patienten von Operationen profitieren. Wenn es aber so ist, dass die Blutgerinnung gehemmt ist, dann haben wir mit den alten Substanzen gute Vorgehensweisen. Wir geben sofort Gerinnungskonzentrate, um das weitere Anwachsen dieser Blutung im Gehirn zu stoppen und wir können es auch gut einstellen, weil wir anhand der Laborparameter gut ablesen können, wir stark die Blutgerinnung vorhanden ist. Wir geben gleichzeitig das Vitamin K, das ist das Anti-Dot, wissen aber, dass das Vitamin K erst Stunden und Tage später wirksam ist. Diese alten Medikamente haben eine sehr lange Halbwertszeit und wir verhindern damit nur, dass am 2. oder 3. Tag sich erneut Veränderungen in der Blutgerinnung zeigen. Es gibt ein Anti-Dot, einen Gegenstoff, der aber sehr verzögert wirkt und im Prinzip ist das Entscheidende der frühe Einsatz von Gerinnungsfaktoren. Wir wissen nicht, ob wir damit Menschenleben retten können, also nach den strengen Kriterien der evidenzbasierten Medizin ist die Wirksamkeit dieses Vorgehens nicht bewiesen, aber es ist ein plausibles Vorgehen und ein Standard. Und mit den neuen Substanzen ist es so: Die Schwierigkeiten in Akutsituationen liegen darin, dass wir nicht genau wissen, wie wir die Wirksamkeit umkehren können, es gibt im Moment keine Anti-Dots und wir setzen sie dann genauso wie bei den alten Gerinnungsfaktoren ein . Das zweite ist, dass die Interpretation der Laborwerte, also die Frage wie stark die Gerinnung verändert ist, nicht einfach ist und deshalb ist die Situation der schweren Komplikation unter den neuen Blutverdünnern in vielen Fällen noch neu und unerprobt.

Sind die Therapie-Aussichten bei Hirnblutungen unterm Strich schlechter für Pradaxa-Patienten?

Die Prognose ist schlecht, auch unter Marcumar. Etwa die Hälfte dieser Patienten wird versterben, das ist eine der schwersten Komplikationen. Es gibt eine gute Analyse von Patienten, die unter Studienbedingungen Hirnblutungen erlitten haben. Das Risiko eine Hirnblutung zu erleiden ist unter Pradaxa, unter den neuen Substanzen, geringer und die Sterblichkeit war identisch. Es hat keinen Unterschied gemacht, ob die Hirnblutung unter Marcumar aufgetreten ist oder unter den neuen, direkten Koagulantien.


Fortsetzung mit Prof. Dr. Riess auf Seite 2...