Autoschlange im Berufsverkehr (Quelle: imago/Jörg Schüler)
Bild: imago stock&people

Gesundheitsschädigende Wirkung von Stickoxid - "Mal das Auto stehen lassen"

Stickoxide gelten in Ballungszentren als Luftverschmutzer Nummer eins. In letzter Zeit häufen sich die Indizien für ihre gesundheitsschädigende Wirkung. Sie greifen die Schleimhäute der Lunge an, schädigen Gefäße und können sogar zu Diabetes führen.

"Stickoxide lösen entzündliche Gewebeprozesse aus", ist sich Claudia Traidl-Hoffmann sicher. Die Professorin für Umweltmedizin forscht seit Jahren am Helmholtz Zentrum München, inwieweit die Luftverschmutzung und bestimmte Krankheiten zusammenhängen. "Die chronischen Entzündungsmechanismen lösen diverse gesundheitliche Probleme aus."

Spätestens seit dem Abgasskandal um den Fahrzeughersteller VW vor zwei Jahren sind Stickoxide zunehmend ins Visier von Wissenschaftlern gerückt. Rund drei Millionen Menschen sterben laut WHO jedes Jahr weltweit, weil die Atemluft verschmutzt ist. Je intensiver die Forschung, desto deutlicher werden die Zusammenhänge. Einer aktuellen Untersuchung des Helmholtz Zentrums München zufolge endet das Leben für 6.000 bis 8.000 Menschen in Deutschland vorzeitig infolge von Herzkreislauferkrankungen, die Stickstoffdioxide mitverursachen. Zum Tode führen vor allem Herzinfarkte und Schlaganfälle; etwa ein Viertel der Menschen stirbt an den Folgen eines Lungenleidens.

Was sind Stickoxide?

Stickoxide bestehen aus Stickstoff und Sauerstoff. Die giftigen Gase entstehen bei Verbrennungsprozessen, insbesondere von Dieselmotoren. Aber auch wenn Öl, Gas, Holz oder Kohle verkokeln, etwa zum Heizen oder um Strom zu erzeugen, entstehen die Gase. Experten unterscheiden Stickstoffmon- (NO) und Stickstoffdioxid (NO2). Zusammen werden sie als Stickoxide (NOx) bezeichnet. Vor allem Stickstoffdioxid belastet die Gesundheit.

Wer ist wie gefährdet?

Gefährdet für die gesundheitlichen Probleme durch Stickoxide sind insbesondere Kinder und ältere Menschen. "Kinder haben ein vulnerableres Immunsystem als Erwachsene. Die Barrierefunktion von Haut und Lungen ist noch nicht vollständig ausgebildet", warnt Umweltmedizinerin Traidl-Hoffmann. Außerdem atmen sie pro Minute häufiger ein und aus und nehmen dadurch mehr Schadstoffe auf. Bei älteren Menschen wiederum lässt die Funktion des Immunsystems nach, so dass sie angreifbarer sind.
 
Berufspendler und Menschen, die an befahrenen Straßen leben, sind einem größeren gesundheitlichen Risiko ausgesetzt, da sie vermehrt Partikel einatmen. Ebenso sind chronisch Lungenkranke betroffen: Bei Asthmatikern oder Patienten mit einer Raucherlunge reizen schon geringe Mengen an Stickstoffdioxid die Atemwege.
 
Aber auch bei ansonsten gesunden Menschen zeigen sich Effekte. In einer zehnjährigen Untersuchung mit 1,2 Millionen Römern stieg die Wahrscheinlichkeit, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Lungenkrebs zu sterben, wenn die Menschen in Gebieten mit hoher Stickoxidbelastung lebten.

Wie wirken die giftigen Gase?

Stickstoffdioxid verursachen auf zweierlei Wegen Gesundheitsprobleme. Ab einer Konzentration von 200 Mikrogramm pro Kubikmeter lösen sie direkt an den Schleimhäuten der Atemwege Entzündungen aus. Dauern diese an, können Asthma, chronische Bronchitis und eine Raucherlunge die Folge sein. Und: Die winzigen Partikel gelangen beim Einatmen in den Blutkreislauf. Dort schädigen sie durch entzündliche Prozesse die Gefäße. Die Folge sind Schlaganfälle, Herzinfarkte und sogar Altersdiabetes.
 
"Auch bei der Entstehung von Hauterkrankungen wie etwa der Neurodermitis spielen Stickstoffdioxide eine Rolle", weiß Traidl-Hoffmann. Welche genau, ist der Forscherin zufolge noch unklar. "Wir wissen, wo erhöhte Stickoxide sind, finden wir diese Erkrankungen vermehrt." Ob sie sie direkt auslösen oder aber immunologische Fehlreaktionen auslösen und dadurch die Menschen anfälliger für allergische Reaktionen und Folgeerkrankungen machen, ist Gegenstand aktueller Forschung am Helmholtz Zentrum München.

Die Menge macht’s?

Der Grenzwert für Stockstoffdioxid liegt bei 40 Mikrogramm pro Kubikmeter für das Jahresmittel. Vor allem in den Städten werden diese Grenzwerte regelmäßig überschritten. Doch nicht allein hohe Mengen an Stickoxiden sind eine Gefahr für die Gesundheit.
 
Jenaer Wissenschaftler zeigten erst kürzlich, dass auch der rasche Anstieg der Werte – selbst wenn sie unter der geforderten EU-Norm von 40 Mikrogramm liegen – schädigend wirken. In der Studie verdoppelte sich das akute Herzinfarktrisiko, wenn die Stickoxidkonzentration innerhalb eines Tages um 20 Mikrogramm pro Kubikmeter anstieg.
 
Das Überraschende: Jena gilt als saubere Stadt. In den vergangenen Jahren wurden die europäischen Grenzwerte bis auf wenige Ausnahmen eingehalten. Die Schlussfolgerung der Autoren ist, dass nicht nur Menschen, die in Millionenmetropolen wie Berlin leben, durch Stickoxide gefährdet sind. Auch in kleineren Städten wie in Brandenburg und sogar auf dem Land droht Gefahr für die Gesundheit, wenn der Smog kurzfristig zunimmt.

Indirekte Wirkung auf die Gesundheit

Stickoxide beeinträchtigen Traidl-Hoffmann zufolge die Gesundheit nicht nur auf direktem Wege. Sie verändern auch die Natur – und provozieren damit vermehrt allergische Reaktionen. "Stickstoffdioxid verändert die Proteinzusammensetzung beispielsweise von Ambrosiapollen, so dass er noch aggressiver wirkt", erklärt Traidl-Hoffmann. In ihren Studien hat die Professorin zusammen mit Pflanzenspezialisten erforscht, dass sich mit Stickstoffdioxid behandelte Ambrosia-Pflanzen deutlich stärker an die spezifischen Eiweiße binden, welche die allergische Reaktion vermitteln. "Es ist damit zu rechnen, dass die ohnehin schon aggressiven Ambrosia-Pollen durch die Luftverschmutzung in Zukunft noch allergener werden", sagt die Umweltmedizinerin.

Wie lässt sich das verhindern?

Seit 2010 gibt es Grenzwerte, die eingehalten werden müssen. 40 Mikrogramm pro Kubikmeter dürfen maximal im Laufe des Jahres gemessen werden. In Deutschland wurde der Grenzwert im Jahr 2017 an fast jeder zweiten verkehrsnahen Messstation überschritten. Auch deshalb werden die Rufe nach einem Fahrverbot von Dieselfahrzeugen immer lauter.
 
"Wir brauchen dringend Hardware-Nachrüstung der Autos", fordert Traidl-Hoffmann. Denn bisherige Initiativen wie Tempolimits, reduzierter Verkehr durch Straßenverengungen oder die Förderung des öffentlichen Verkehrs fruchten noch zu wenig. Auch Software-Updates und der Umtausch alter Dieselfahrzeuge mittels Prämie könnten die Belastung nur begrenzt reduzieren. Dadurch ließen sich maximal zwischen zwei und fünf Mikrogramm reduzieren.

Was jeder selbst tun kann

Währenddessen müssen sich die Menschen selbst helfen. Die Universitätsprofessorin rät dazu, auf den Internetseiten des Umweltbundesamtes (UBA) die täglichen Schadstoffmessungen im Blick zu halten. An Tagen, an denen die Belastung besonders hoch ist, sollte man man auf Sport und körperliche Aktivitäten verzichten. "Unter Anstrengung atmen wir mehr verschmutze Luft und diese tiefer in die Lunge ein und die dabei erhöhte Durchblutung transportiert die schädlichen Partikel noch schneller in den Organismus", meint Traidl-Hoffmann. Beide Effekte führen dazu, dass der Körper mehr ungefilterte Schadstoffe aufnimmt.
 
Seit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Ende Februar können Städte ihre Bewohner zukünftig zwingen, den Nahverkehr zu nutzen oder zu Fuß zu gehen. Umweltprofessorin Traidl-Hoffmann appelliert auch an die Verantwortung jedes einzelnen: "Wir sollten nicht darauf warten, dass die Politik etwas verändert. Jeder kann selbst entscheiden, ob er sein Auto für kurze Strecken einfach mal stehen lässt."

Beitrag von Constanze Löffler

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