Mann mit Schlafproblem sitzt auf Bett (Quelle: Colourbox)
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Interview | App gegen Schlafstörungen bei Depressionen - Depression: Weniger Schlaf ist mehr

Menschen mit Depressionen leiden oft unter Schlafstörungen. Die scheinbar paradoxe Behandlung: weniger Schlaf. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe hat eine Smartphone-App entwickelt, die Patienten dabei helfen soll. Wir haben mit Prof. Ulrich Hegerl darüber gesprochen, Psychiater und Vorstandsvorsitzender besagter Stiftung.

Professor Hegerl, wie hängen Depressionen und Schlaf miteinander zusammen?

Die allergrößte Mehrheit der Patienten mit Depressionen hat Schlafstörungen. Meistens fällt es ihnen schwer einzuschlafen und durchzuschlafen. Viele liegen schon in den frühen Morgenstunden wach und grübeln.

Warum ist das so?

Wir gehen davon aus, dass in einer Depression die wachheitsfördernden Mechanismen im Gehirn überaktiv sind. Daran können Botenstoffe wie zum Beispiel Noradrenalin, Histamin oder Acetylcholin beteiligt sein. Diese können die Wachheit nach oben treiben. Viele Patienten sagen, sie fühlen sich permanent wie vor einer Prüfung: Sie sind innerlich angespannt und kommen von diesem Zustand nicht runter. Deshalb haben sie auch Schlafschwierigkeiten. Sie fühlen sich zwar müde, aber eher vor Erschöpfung aufgrund der Daueranspannung. Viele hoffen, das dadurch ausgleichen zu können, dass sie abends eher ins Bett gehen, früh länger liegen bleiben oder sich sogar tagsüber hinlegen.
 
 

Keine gute Idee?

Nein, die meisten fühlen sich danach noch schlechter, selbst wenn es ihnen gelingt, ein wenig zu schlafen. Das liegt daran, dass Inaktivität und Schlaf die innere Unruhe noch verstärken. Auch wenn es paradox klingt, sollten Menschen mit Depressionen lieber mehr Zeit außerhalb des Bettes verbringen. In der Klinik gehört der Schlafentzug deshalb zur Standardtherapie. Sein Effekt ist in vielen Studien gut belegt.

Wie funktioniert die Methode genau?

Die Patienten müssen etwa die zweite Nachthälfte wach bleiben, manchmal auch die ganze Nacht. Die Pfleger und Schwestern der Station machen dann Spiele mit ihnen oder einen kleinen Ausflug, damit sie wach bleiben. Zu ihrer großen Überraschung spüren viele in den Morgenstunden eine deutliche Besserung. Oft haben sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder ein Lächeln auf den Lippen, schmeckt ihnen das Frühstück wieder. Für die meisten ist das vollkommen überraschend, weil sie den Effekt nicht erwartet hätten.

Ohne Ablenkung ist das Wachbleiben schwer durchzuhalten.

In der Depression hat man an nichts Interesse, die Zeit schreitet nicht voran, man ist in schlechter Stimmung. In so einer Situation alleine nachts wach zu bleiben, ist sehr schwer.
 
Genau deshalb ist Schlafentzug für zu Hause nicht geeignet. Darum haben wir als Stiftung Deutsche Depressionshilfe die Smartphone-App GET.UP entwickelt. Sie soll keinen klinischen Schlafentzug ersetzen. Vielmehr soll sie zunächst helfen zu schauen, wie bei einem selbst der Zusammenhang zwischen der Bettliegezeit und der Stimmung ist. Etwa so: Man geht früher ins Bett und bleibt morgens länger liegen, fühlt sich danach aber keineswegs erfrischt, sondern noch erschöpfter und bedrückter.

Probanden gesucht

deutsche-depressionshilfe.de - GET.UP-Studie sucht Teilnehmer

Für die GET.UP-Studie sucht die Stiftung Deutsche Depressionshilfe noch einige Teilnehmer. Menschen mit leichten Depressionen, die pro Tag mehr als neun Stunden im Bett verbringen, können sich unter Tel.: 0341/97 24 550 informieren, ob sie für die Studie geeignet sind. Voraussetzung ist die Nutzung eines Android-Smartphones.

Wie kann die App dagegen helfen?

Man gibt in sein Handy ein, wann man ins Bett gegangen, wann man aufgestanden ist und wie lange man sich tagsüber hingelegt hat. Dazu tippt man Antrieb und Stimmung ein. Die App protokolliert diese Werte und gibt Empfehlungen, wann man ins Bett gehen und aufstehen sollte. Als Konsequenz liegt man dann vielleicht keine neun Stunden im Bett, sondern nur noch siebeneinhalb. Das Ziel ist eine leichte, aber nachhaltige Bettzeitverkürzung. Ob sich das spürbar auf die Stimmung auswirkt, prüfen wir derzeit noch in einer Studie.

Was ist das Ziel der Studie?

Wir wollen zeigen, dass die App die Symptome bei leichter Depression besser lindert als klassische Entspannungsverfahren. Die eine Hälfte der Teilnehmer benutzt sechs Wochen lang die App, die andere Hälfte macht Progressive Muskelrelaxation. Dabei lernen die Patienten, die Muskeln gezielt anzuspannen und zu entspannen. Dieses Verfahren wird oft unterstützend bei Depressionen angewendet. Insgesamt wollen wir 250 Patienten in die Studie einschließen.

Wann erwarten Sie Ergebnisse?

Wir hoffen, die Daten noch dieses Jahr auswerten zu können und die Ergebnisse Anfang 2019 zu veröffentlichen. Danach planen wir, die App kostenlos für jedermann zur Verfügung zu stellen.

Wer sollte die App nutzen und wie?

Eine schwere Depression kann man nicht allein mit der App behandeln. Sie ist eine Unterstützung des Selbstmanagements, ersetzt aber auf keinen Fall eine richtige Therapie mit Antidepressiva und Psychotherapie. Insofern sollten Patienten mit einer leichten Depression die App nutzen. Aber auch wenn jemand nur eine gedrückte Stimmung hat, ohne schon depressiv zu sein, kann es hilfreich sein zu wissen, wie der Zusammenhang mit dem Schlaf ist.

Wenn einem die App rät, später schlafen zu gehen, wie schafft man das?

Einer geht gern spazieren, ein anderer liest, der nächste geht aus. Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Aber es ist wichtig, einen festen Plan zu machen, weil man sonst doch wieder ins Bett fällt. Wenn man das schafft, kann Schlafreduzierung Anstoß und Unterstützung für die sonstigen Behandlungen sein.

Danke für das Gespräch, Professor Hegerl.
Das Interview führte Florian Schumann

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